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6.2.06

Pressestimmen: «Vergiftung aus dem Westen»

Mit dem Karikaturenstreiten befassen sich zahlreiche Sonntagszeitungen in Europa. Die Kommentatoren verweisen auf tiefer liegende Ursachen des Konflikts, die offen angesprochen werden müssten.

«Kurier» aus Wien

«So verständlich die Empörung gläubiger Muslime ist - die organisierte Erregung in vielen muslimischen Ländern wirkt grotesk. Für die dortigen Machthaber ist der Konflikt ein willkommener Anlass, scheinheilig von ihren Schwächen und Schwierigkeiten abzulenken. Diese Diktatoren argumentieren mit Menschenwürde und Toleranz, denken aber keine Sekunde daran, solche Werte im eigenen Machtbereich hochzuhalten. In der staatlich gelenkten Presse zum Beispiel erscheinen immer wieder wüste antisemitische Karikaturen, ohne dass sich ein Protest regen würde; der 'Stürmer'-Stil gilt als normal. Wer die demokratische Ordnung derart verachtet, lebt auch in dem Glauben, 'die Regierung' müsse Karikaturen verbieten. Hier zeigt sich der tiefe Graben zwischen den Kulturen: In einer demokratischen Gesellschaft verbietet sich manches von selbst.»

«La Repubblica» aus Rom

«Die Reaktion, die die 'satanischen Karikaturen' hervorgerufenhaben, zeigen neben ihren Auswirkungen auch ein präzises Symptom: Die wachsende Verbreitung in der islamischen Welt einer radikalen Kritik am Westen. Dies ist eine Kritik, die wenn überhaupt nur am Rande von den dschihadistischen Thesen von Bin Laden und Sawahiri genährt wird. Vielmehr erwächst sie aus einem verbreiteten Gefühl, das von islamistischen Gruppen vertreten und gesteuert wird: Dass der Westen nicht nur ein Problem, sondern die 'Krankheit des Islam' darstellt. 'Vergiftung durch den Westen' ist das Wort, das die Gruppen nicht zufällig benutzen, um die verderblich angesehenen Auswirkungen zu beschreiben, die das politische, wirtschaftliche, kulturelle, westliche Eindringen in die islamische Kultur hat.»

«NZZ am Sonntag» aus Zürich

«Der entfesselte Mob zeigt seine verletzten religiösen Gefühle, indem er dänische Flaggen verbrennt, und die eingeschüchterten Kommentatoren versichern eilig, die Freiheit der Kunst und der Rede seien nur relative Werte. Das sind sie aber nicht. Es sind Grundwerte, die in jedem demokratischen Staat selbstverständlich sein müssen - und die es nicht nur aus 'würdigem' Anlass zu verteidigen gilt. Die Qualität der Karikaturen steht nicht zur Debatte. Satirische Angriffe auf religiöse Inhalte sind oft geschmacklos; doch die Zeiten, da sie verboten waren und ihre Urheber verfolgt wurden, liegen gottlob hinter uns. Diesen historischen Prozess hat der Islam noch vor sich. (...) Es geht nicht an, dass wir aus Furcht, Kalkül oder einem ominösen Kultur-Relativismus von unseren Grundwerten abrücken.»

«Aftenposten» aus Oslo

«Nie zuvor ist eine norwegische Botschaft von rasenden Demonstranten in Brand gesteckt worden. (...) Niemand hat mehr die Kontrolle über die Lage. Man kann unmöglich vorhersagen, welchen Weg die Raserei mehr oder minder radikaler Muslime nun einschlagen wird. Wir können hoffen, dass die Gemüter sich beruhigen, aber die Entwicklung kann sich ebenso gut weiter zuspitzen. (...) Dass Behörden in einem Polizeistaat wie Syrien die Islamisten nicht kontrollieren können, zeigt den Ernst der Lage. (...) In diesem unüberschaubaren Chaos von Gefühlen und Gefühlsausbrüchen ist es sehr wichtig, dass wir diejenigen nicht aus den Augen verlieren, die zu Dialog auffordern und nicht noch mehr Benzin ins Feuer giessen.»

«The Observer» aus London

«Viele unserer muslimischen Mitbürger sind zweifellos beleidigt. Sie haben aber nichts mit jenen radikalen Gruppierungen zu tun, die bei den Demonstrationen der letzten Tage zu neuen Bombenanschlägen aufriefen oder Botschaften in Brand steckten. Diese Gruppen verfolgen andere Ziele. In den europäischen Ländern muss jedoch eine ernsthafte Debatte darüber stattfinden, wie verschiedene multikulturelle Gruppen friedlich miteinander leben können. Viele Minderheiten in ganz Europa fühlen sich der Gesellschaft, in der sie leben, völlig entfremdet. Es besteht die Gefahr, dass radikale Gruppen dieses Gefühl für ihre Zwecke nutzen und diese eigentlich friedlichen Gemeinden aufstacheln. (...) Wir sind alle Europäer, und unsere Sicherheit hängt von Zusammenarbeit und Toleranz ab. Wir müssen uns gegen Islamophobie wehren, aber auch gegen Gewalt und Terror.»

www.dw-world.de (kas) 05.02.2006

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