Blow Job für Bush
Zur Lage der Nation - Amerika ist besser als sein Ruf, sagt der Philosoph Bernard-Henri Lévy
Ein feinnerviger Herr aus Frankreich auf der Suche nach der amerikanischen Seele: Neun lange Monate reiste der Philosoph Bernard-Henri Lévy kreuz und quer durch Gelände und Gesellschaft. Sein Buch «American Vertigo» ist ein Klarsichtversuch in Zeiten heftiger Verdüsterung.
«Der dichte Smog von Klischees und Gemeinplätzen hat unsere Sicht aufeinander verstellt», meint Lévy. «Ich wollte das durchbrechen, Amerika entdecken, wie es wirklich ist - mit seinen dunklen und hellen Seiten.» In den Fussstapfen von Alexis de Tocqueville ist er gereist, der 1835 mit seinem Buch «Über die Demokratie in Amerika» dem jungen Land das demokratische Gütesiegel verliehen hat. Bernard-Henri Lévy zögerte erst, als ihn «Atlantic Monthly» auf die Spurensuche schicken wollte. Er habe keine Zeit gehabt, sei auch ängstlich gewesen, meint der Philosoph. «Es schien mir eine zu grosse Verantwortung, es dem grossen Denker Alexis de Tocqueville gleich tun zu wollen. Wie brillant und arrogant man auch sein mag, das war doch etwas zu gross, riskant.»
Von Alcatraz bis Guantanamo
175 Jahre nach Alexis de Toqueville hat sich das New York von BHL, wie sich der schillernde, narzisstische Bernard-Henri Lévy gern nennt, verändert. Der frühe amerikanische Strafvollzug hatte Tocqueville besonders interessiert. BHL folgt ihm in die Gefängnisse - von Alcatraz bis Guantanamo. Er erschrickt, dass Amerika seine sozialen Probleme allzu oft über den Strafvollzug abwickelt, und am schlimmsten: «Gefängnisse sind überall furchtbar, aber hier hängt über ihnen der schwarze Schatten der Todesstrafe. Das bricht einem das Herz».
Die USA ist für BHL «ein grossartiges, verrücktes Land. Laboratorium des Besten und Schlechtesten; gierig und massvoll, zugleich trunken von Materialismus und Religion». Wo Tocqueville das Miteinander von Religion und Freiheit dank ihrer strikten Trennung voneinander feierte, erlebt Lévy das Überschwappen fundamentalistischer Religiosität auf die Politik als deutliche Gefährdung demokratischer Prinzipien. «De Tocqueville würde wohl als erstes auffallen, dass diese von ihm gepriesene Vermählung von Glauben und Freiheit, für die Amerika zum Sinnbild wurde, zunehmend nicht mehr funktioniert», sagt Lévy.
In New York gefeiert
Vom gediegenen Council on Foreign Relations bis zum Fernsehen, von Zeitungen bis zur exklusiven Dinner-Tafel: BHL ist in New York allgegenwärtig, die Literati und Glitterati lauschen seiner Grunderkenntnis, dass in Amerika das eine ebenso wahr sei wie sein Gegenteil. BHLs Roadmovie 2006 ist eine Reise durch ein Land, das sich seiner selbst nicht mehr sicher ist und in Frömmigkeit flüchtet und Ideologie.
BHL verurteilt den Irak-Krieg, verspottet George W. Bush und liebäugelt doch mit den Neo-Konservativen. Changierende Urteile, doch unbeirrbar darin: «Diese Demokratie lebt, sie ist vital und jugendlich, sogar in den republikanischen Bundesstaaten!», so der Philosoph. «Was jetzt geschieht, ist lediglich ein Unfall der Geschichte, wir erleben ein vorüber gehendes Hijacking der grossartigen demokratischen Traditionen durch eine Gruppe von Menschen, die sich an der Demokratie vergehen.»
Lob & Kritik
Und er jubelt über ein amerikanisches Presse-Zitat, das seinem Unmut zupass kommt: «Da wurde gefragt, ob sich nicht endlich jemand opfern und Präsident Bush einen guten Blow-Job verpassen würde, damit man endlich ein Amtsenthebungs-Verfahren gegen ihn einleiten könne?» Wie urteilen jene, die ihm in New Yorks Public Library, der öffentlichen Bibliothek zugehört haben? «Wenn doch die Amerikaner selbst so viel über Amerika wüssten wie er!» heisst es da, oder auch: «Etwas oberflächlich. Gute PR für sein Buch, aber ich habe wenig Neues gelernt.» Und: «Wenn er doch so viele Probleme hier erkannt hat, warum ist er dann so zuversichtlich über den Zustand und die Zukunft der Demokratie?»
Im französischen Generalkonsulat gibt es einen grossen Empfang für ihn, der den Anti-Amerikanismus geisselt: «Anti-Amerikanismus zieht wie ein Magnet überall auf der Welt das Schlechteste an: Chauvinismus, Nationalismus, Hass auf die Demokratie, Antisemitismus, Verachtung der Minderheiten - für all das wird der Anti- Amerikanismus zum Sammelbecken», sagt Lévy. «Das trifft zu in natürlich unterschiedlichen Schattierungen in den Madrassas in Karatschi, in den Pariser Nobelvierteln und auch in Frankfurt und Berlin: Sie können sich den Schuh auch anziehen.» Die amerikanische Demokratie als Modell für Europa und die Welt, obwohl die Gefahr einer Tyrannei der Mehrheit lauere und Gleichmacherei, so diagnostizierte Alexis de Tocqueville nach seiner Reise. Sein Nachfahre BHL bekräftigt das eindreiviertel Jahrhunderte später - trotz eines laufenden Hijacking-Versuchs. Amerika im Taumel - «American Vertigo» ist ein Reisebericht des Sowohl als Auch aus einem Land, das selbst noch unterwegs ist.
Bernard-Henri Lévy
«American Vertigo. Traveling America in the Footsteps of Tocqueville»
Random House 2006
ISBN: 1400064341
Circa 25 US-Dollar
www.3sat.de 01.02.2006
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