100 Jahre Postauto Schweiz - «Mythos Alpenpost lebt noch»
Das Unternehmen startete in Bern seinen Erfolgskurs durch die Schweiz und ins Ausland
Sie heissen Berna, Martini, Saurer, FBW, die Schweizer Automobilhersteller, welche die ersten Postauto-Omnibusse bauten. Die ersten fahrplanmässigen Postautos verkehrten ab Juni 1906 zwischen Bern und Detligen.
Die drei Urfahrzeuge boten Platz für je 14 Passagiere, hatten 4-Zylinder-Benzinmotoren mit etwa 30 PS und erreichten eine Höchstgeschwindigkeit von 30 Kilometern pro Stunde. Der Benzinverbrauch betrug über 40 Liter pro 100 Kilometer. Die Wirtschaftlichkeit war schlecht, die Pannenhäufigkeit gross. Die Automobiltechnik steckte damals in den Kinderschuhen und war dem regelmässigen Linienverkehr kaum gewachsen. Die Linie zwischen Bern und Papiermühle, ebenfalls 1906 eröffnet, musste nach drei Jahren wieder auf Pferdebetrieb umgestellt werden.
Im Museum für Kommunikation in Bern informierten die Verantwortlichen gestern vor den Medien über die Anfänge des öffentlichen Verkehrsmittels Postauto und über die diversen Anlässe zum 100-Jahre-Jubiläum. Das Museum widmet der Entwicklung von der motorisierten Postkutsche zum modernen Transportmittel eine Sonderausstellung (siehe Kasten).
Der Urbanisierungsprozess
Museumsdirektor Jakob Messerli zeichnet die damalige Verkehrslandschaft Schweiz: Die Pferdepost stiess an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. Eisenbahn und Tram existierten bereits, das Reisen wurde billiger, der Tourismus boomte. «Der Urbanisierungsprozess hatte zur Bildung von Agglomerationen geführt», so Messerli, immer mehr Menschen legten immer längere Wege zurück.
Mit dem Krieg kam der automobiltechnische Durchbruch: Die Postverwaltung mit Sitz in Bern liess nach Ende des Ersten Weltkriegs hundert leistungsfähige und kriegserprobte Armeelastwagen zu Postautos umbauen. Die anschliessende Entwicklung verlief rasant: 1919 eroberte das erste Postauto den Alpenraum – den Simplonpass. Es folgten der San Bernardino (1920), Julier und Grimsel (1921), Furka, Oberalp, Col des Mosses (1922). Schnell und unspektakulär verbreitete sich das Postautomobil im Mittelland; das Pferd geriet ins Hintertreffen. 1930 gab es noch hundert Nebenlinien mit Pferdepost. Das letzte Zugpferd stampfte fahrplanmässig zwischen Cresta und Juf im bündnerischen Avers und wurde 1961 in Pension geschickt.
Bedeutende Schritte der technischen Innovation waren die Umstellung von Vollgummi- auf Pneubereifung (1920), die Einführung des Dieselmotors (1930), die Ablösung des Schnauzenpostautos durch Unterflurmotoren (1950). Auf stark frequentierten Strecken wurden zunächst Anhänger, dann Gelenkbusse eingesetzt. Bis 1970 standen fast ausnahmslos Postautomodelle schweizerischer Hersteller im Einsatz.
Nebst seiner Funktion als öffentliches Verkehrsmittel für Beruf und Freizeit brachte das Postauto auch den Tourismus in Schwung: «Der Mythos Alpenpost lebt immer noch», sagt Jakob Messerli. «Das Postauto steht als schweizerisches Markenzeichen gleichberechtigt neben Matterhorn, Uhren, Käse und Schokolade.» Es erfüllte in Berggebieten auch Spezialaufgaben wie Vieh- und Milchtransporte. Inzwischen ist Postauto Schweiz eine Aktiengesellschaft und mit Abstand das grösste Busunternehmen des Landes, nach eigenen Angaben ein «leistungsorientiertes Unternehmen mit Durchsetzungskraft». Es betreibt eine Flotte von 2000 Fahrzeugen und beschäftigt 2500 Mitarbeitende, mit eingerechnet die Chauffeure und Chauffeurinnen privater Regiebetriebe. Das Streckennetz ist dreimal grösser als jenes der SBB. Das Unternehmen legt jährlich 90 Millionen Wagenkilometer zurück: «Das reicht aus, um sechsmal pro Tag die Erde zu umfahren», erklärt Daniel Landolf, Leiter Postauto Schweiz. Zwar liege ein «Schleier der Nostalgie» über der Firma und Postauto wolle «ein Stück Heimat» bleiben, so Landolf, gleichzeitig stehe das Unternehmen in einem schwierigen Wettbewerb. Dies bekommt zunehmend auch das Fahrpersonal zu spüren, von dem mehr Flexibilität erwartet wird.
Die Expansion ins Ausland
Der Pioniergeist der Gründer zeigt sich im Erfolg des Unternehmens: Es steigerte seinen Umsatz in den letzten Jahren im Schnitt um fünf Prozent und schreibt seit einigen Jahren schwarze Zahlen. Es gewann zwei Drittel aller Ausschreibungen von Linien und erweiterte seinen Betrieb über die Grenzen hinaus; seine Busse sind in Dole im französischen Jura und in Obernai im Elsass unterwegs. Allein 42 Millionen Franken Umsatz will Postauto Schweiz in den nächsten sechs Jahren mit dem Betrieb des Stadtnetzes von Bourg en Bresse (Rhône-Alpes) erzielen, einer Agglomeration mit 75'000 Einwohner. Hinzu kommt demnächst der Stadtbusbetrieb von Haguenau bei Strassburg.
Landolf rühmte den Schub von Bahn 2000 und die «bahnbrechenden Neuerungen im Fernverkehr». Viele Destinationen auf der Schweizer Landkarte seien enger zusammengerückt. Doch nicht alle könnten davon profitieren: Während leistungsfähige pulsierende Verkehrsadern entstanden seien, werde an den feinen Verästelungen in den Regionen gespart. Die Folge davon bekomme Postauto zu spüren: «An der Peripherie verlieren wir Fahrgäste.»
Die Teststrecke Bern–Detligen
Doch weshalb eigentlich kam ausgerechnet das Dorf Detligen in der Gemeinde Radelfingen in den Genuss der ersten Postautoverbindung der Schweiz? Die Begründung ist aus heutiger Sicht eher spekulativ: Die Strecke mit der moderaten Steigung habe sich als Teststrecke besonders gut geeignet, meint Postauto-Chef Landolf. Auch laut Messerli haben wohl technische Gründe den Ausschlag für die Linienführung gegeben. Boll und Utzigen beispielsweise seien zu dieser Zeit mit dem Postauto nicht zu erreichen gewesen. «Die Steigung war zu gross.»
Der Gemeindepräsident von Radelfingen, Daniel Mauerhofer (svp), hat sich auch mit dieser Frage beschäftigt: Detligen war zu dieser Zeit auch ein Badekurort. In der Gemeindechronik ist dazu Folgendes vermerkt: In der Zeit von 1830 bis 1909 gab es in Detligen zwei Badhäuser mit Taverne und Hotel. Die Holzgebäude wurden 1909 ein Raub der Flammen. Das an Bittersalzen reiche Mineralwasser habe erfolgreiche Kuren gegen Haut- und Gliederkrankheiten garantiert. Somit erfüllte das erste Postauto der Schweiz nicht nur eine verkehrstechnische, sondern auch eine heilsame Funktion.
Der Bund, Daniel Vonlanthen 27.01.06
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