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25.1.06

Die Raumordnung ist zu selten ein Politikum

Die Raumplanung schlägt in letzter Zeit keine grossen Wellen in diesem Land, schon gar keine Grundwellen, welche die schweizerische Gemütslage tiefschürfend aufwühlen könnten. Eigentlich ist das erstaunlich. Die Schweiz ist ein Kleinstaat mit beschränktem Raum, mit einem grossen Anteil «unproduktiver» Flächen und einer hohen Bevölkerungsdichte in jenen Zonen, die für eine Besiedlung überhaupt geeignet sind. Die meisten Einwohnerinnen und Einwohner dieses Landes erleben die Enge des Raumes im Alltag am eigenen Leibe. Dennoch ist - trotz stark ausgebauten direktdemokratischen Instrumenten - kein expliziter politischer Wille auszumachen, der sich auf raumplanerisch relevante Themen bezieht.

Bisweilen bestätigen Ausnahmen, wie die demnächst im Kanton Zürich zur Abstimmung gelangende Landschaftsinitiative, die Regel. Deren Begehren, die Ausdehnung des Schutzstatus auf weitere Gebiete des Kantons, betrifft zwar ein altes raumplanerisches Anliegen. Die wichtigsten Fragen zur Raumentwicklung stellen sich heute jedoch landesweit im Verhältnis zwischen bebautem und unbebautem Land, grob gesagt zwischen Landwirtschafts- und Bauzonen. Wenn Probleme in diesem Bereich anstehen, gehen meistens nicht in erster Linie die Politiker ans Werk, sondern die Juristen auf allen Ebenen - bis hin zum Bundesgericht. Der Primat der Rechtsprechung gegenüber der Politik auf der Basis der politisch geschaffenen Rechts ist selten in einem Bereich so augenfällig wie in der Raumplanung.

Das ist selbst im Fall der umstrittenen Umzonung von Galmiz sichtbar geworden. Dort hat die Freiburger Regierung letztlich einen klaren wirtschafts- und standortpolitischen Entscheid gefällt, mit dem die Ansiedlung des grossen amerikanischen Biotechnologie-Konzerns Amgen auf 55 Hektaren bisheriger Landwirtschaftsfläche ermöglicht werden kann. Die Schützer der Landschaft haben dies zwar als landesweites Politikum wahrgenommen und gegen die Umzonung eine «nationale» Kundgebung im Gelände organisiert. Doch gefochten haben sie vor allem mit rechtlichen Argumenten. So stellten sie das Gutachten in Frage, auf welches sich das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) und das Departement von Bundesrat Moritz Leuenberger abstützten und das der Freiburger Regierung rechtmässiges Vorgehen attestierte.

Dass raumplanerische Fragestellungen nur selten - wie im Fall Galmiz - zum nationalen Politikum werden, liegt zu einem guten Teil daran, dass Raumplanung und Raumordnung grundsätzlich in der Verantwortung der Kantone liegen. Der Bund verfügt lediglich über nennenswerte Kompetenzen zur Rahmengesetzgebung (Raumplanungsgesetz), bei der Genehmigung der kantonalen Richtpläne und zur Erarbeitung sogenannter Sachpläne für besondere und definierte Themenfelder von nationaler Bedeutung (z. B. Infrastruktur Luftfahrt, Übertragungsleitungen usw.). Der Vollzug insbesondere des Raumplanungsgesetzes, d. h. die Konzeption der konkreten Raumordnung, liegt gänzlich bei den Kantonen. Theoretisch sind also 26 kantonale Ordnungen möglich, 26 verschiedene Interpretationen und Umsetzungen des Raumplanungsgesetzes. Auch wenn die Praxis nicht gerade zu diesem äussersten Extrem drängt, so ist die föderalistische Vielfalt des Raumplanungsrechts in zahlreichen Details doch bemerkenswert.

Angesichts dieser Verhältnisse haben es Sichtweisen, die sich nicht an die territorialen Grenzen des althergebrachten und geltenden helvetischen Föderalismus halten, immer schwer gehabt. Dies belegten in jüngster Zeit etwa die Reaktionen auf die kürzlich erschienene Studie von Avenir Suisse zur «Baustelle Föderalismus», erschienen im Verlag der Neuen Zürcher Zeitung. Diese Studie schildert eine Entwicklung, die in den letzten Jahrzehnten in der Schweiz stattgefunden und faktisch zur Entstehung von sechs grossen Metropolitanregionen geführt hat - eine bemerkenswerte, grossangelegte Analyse, der eine Anzahl eher behutsamer Reformvorschläge beigefügt wurde. Die Arbeit wurde weitherum als utopisch taxiert, als jenseits aller politischen Realitäten abgetan oder als Angriff auf zentrale eidgenössische Solidaritäten (etwa mit dem Berggebiet) angefeindet.

Der wenig später vom ARE publizierte Raumentwicklungsbericht 2005 schlägt ein Raumkonzept Schweiz vor, welches der fortschreitenden Metropolisierung des Landes - verbunden mit einer weiteren, fast unkontrollierbaren Zersiedelung - entgegenwirken soll. In diesem Raumkonzept ist auch Platz für kleinere Städte, die entweder in Metropolitangebieten miteinander vernetzt sind oder ausserhalb der Metropolitanräume miteinander kooperieren sollen. Eine spezielle Rolle sollen alpine Tourismuszentren und ländliche Zentren spielen. Das Zauberwort in diesem Konzept heisst «Vernetzung», als Gegenpol zum Zusammenwachsen von Agglomerationen, dem die verbliebenen offenen Landschaftsräume zum Opfer zu fallen drohen. Das Konzept des ARE ist auf einem hohen abstrakten Niveau formuliert. Bricht man es auf eine konkretere Ebene hinunter, in die alltägliche Welt der kommunalen, regionalen und kantonalen Planungen, stösst man rasch wieder auf die wohlbekannten föderalistischen Realitäten.

Sowohl Avenir Suisse wie auch das ARE versuchen derzeit mit öffentlichen Diskussionsrunden, die anstehenden Probleme ins allgemeine Bewusstsein zu rücken. Eine neue Hinwendung der öffentlichen Aufmerksamkeit zu Themen der Raumentwicklung werden sie damit kaum auslösen. Dennoch ist es notwendig, dass die anstehenden Fragen in der öffentlichen Debatte bleiben. Ohne politische Willensbildung wenigstens bei jenen Teilen der Bevölkerung, die am demokratischen Entscheidungsprozess teilnehmen, werden raumplanerische Konzepte immer toter Buchstabe bleiben. Da wird es auch wenig helfen, wenn dem Bund weitere Kompetenzen in der Raumplanung zugeschoben werden.

Grundsätzlich bleibt fraglich, ob die föderalistische Kompetenzordnung der Schweiz ausgerechnet durch strukturelle Reformen, die ihre Impulse von der Raumplanung erhalten, verändert werden könnte. Neue Anstösse zur Raumentwicklung müssen politisch eher dort ansetzen, wo die planerischen Kompetenzen heute angesiedelt sind: bei den Kantonen, die über ihre Befugnisse nach wie vor eifersüchtig wachen. Dass dies nicht zwingend zur Stagnation führen muss, beweist eine kantonale Initiative als Reaktion auf den raumplanerisch unglücklichen «Fall Galmiz». Die kantonalen Baudirektoren wollen sich darum bemühen, für die Ansiedlung strategisch wichtiger Grossbetriebe an drei bis sechs Standorten geeignete Flächen in der Grösse von 20 bis 50 Hektaren (ungefähr die «Galmiz-Grösse») als - sinnvoll betreuten - Vorrat bereitzustellen.

So richtig dieses Vorhaben erscheint, so wenig sollten die Probleme unterschätzt werden, die dafür zu lösen sind: die staatspolitisch richtige Verteilung der geplanten Zonen in den verschiedenen Landesteilen, die Dauer der vorgesehenen Einzonung, das Vorgehen bei kantonsübergreifenden Lösungen, die Entschädigungsfragen bei Enteignungen, die Umweltkriterien, die Verkehrsanbindung, die Behandlung von Altlasten, allfällige Steuervergünstigungen für ein interessiertes Unternehmen, die Kompensationen für Kantone, welche bei der Definition der potenziellen Standorte leer ausgehen. Und schliesslich stellt sich auch die Aufgabe, einmal ausgeschiedene - und entsprechend erschlossene - Gebiete vor den Begehrlichkeiten «kleinerer» Interessenten zu schützen.

Am «Fall Galmiz» hat sich ein politischer Wille entzündet, der - sofern man der noch jungen Pflanze Sorge trägt - zur Lösung eines nationalen raumplanerischen Problems beitragen kann. Daraus ist zu lernen, dass kantonale Initiativen in der Raumplanung landesweite Dynamik auslösen können. Diese Erkenntnis könnte auch in andern Fragestellungen wegweisend sein, etwa bei der vielenorts umstrittenen Errichtung von «publikumsintensiven Anlagen», also etwa von Einkaufszentren oder grossen Sport- und Freizeitanlagen. Es würde sich wohl lohnen, wenn im Rahmen einer (geplanten) grösseren Revision des schweizerischen Raumplanungsgesetzes solche Möglichkeiten in Rechnung gestellt würden.

www.nzz.ch 24.01.2006 Nkm.

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