Er liess Buddha in die Röhre gucken
Nam June Paik: Der «Vater der Videokunst» starb im Alter von 73 Jahren. Der in Korea geborene Künstler schockierte, indem er Instrumente zerstörte, bis er sein Leitmedium fand: den Fernseher.
Eine seiner berühmtesten Arbeiten wurde aus der Not geboren: Als Nam June Paik 1974 in der New Yorker Galerie Bonino ausstellte, stand kurz vor der Eröffnung noch eine Wand leer. Kurzerhand setzte der im koreanischen Seoul geborene Allroundkünstler eine Buddha-Statue vor einen Fernseher, montierte daneben eine Videokamera, so dass sich die antike Gottesfigur selbst in der Mattscheibe betrachtete. Ein ironisches Spiel von Vergangenheit und Gegenwart. Die meditative Ruhe des Fernen Ostens trifft auf das westliche Medium der Hektik. Ein geschlossener Zirkel aus Sender und Empfänger, der innigen Beziehung von Couch Potatoe und Flimmerkiste nicht unähnlich.
Früh, lange vor der Rundumbebilderung der Welt mit Dutzenden von TV-Kanälen, hat Nam June Paik die Reizüberflutung der Medien vorhergesehen und in spektakulären Installationen thematisiert. Mit Arbeiten wie «The more the better» (1988) - ein Turm aus 1003 Monitoren, errichtet anlässlich der Olympischen Spiele in Seoul - hat er positive und negative Aspekte des Mediums ausgelotet. Am Sonntag abend ist der «Vater der Videokunst» im Alter von 73 Jahren in seiner Wohnung in Miami im US-Staat Florida gestorben. Paik werde in New York beigesetzt, berichtet die südkoreanische Nachrichtenagentur Yonhab unter Berufung auf seine Familie.
«Er ist immer Kind geblieben», erzählt Thomas Wegner. Der «Schaulandt»-Gründer sammelt in seinem «Weissen Haus» in der Hamburger Heilwigstrasse nicht nur Objekte Paiks, sondern besuchte den Visionär 1998 auch in seinem New Yorker Atelier. «Ich sollte Paik den Auftrag erteilen, ein Bild zu malen. Im Gespräch einigten wir uns auf das Motiv des Bundesadlers», erinnert sich Wegner. «Jon, malst du mir mal einen Adler?», habe Paik seinem Assistenten zugerufen. «Er hat nicht alles selbst gemacht», weiss Wegner. «Er war lieb, bescheiden, hat nicht geraucht, nicht getrunken», charakterisiert er den Menschen Paik. «Er hätte 100 Jahre alt werden sollen.» Doch nach einem Schlaganfall 1996 war der Künstler an den Rollstuhl gefesselt. Seitdem «stehe ich ein bisschen jenseits der Welt, ich denke übers Jenseits nach. Now I want to make erhabene Kunst», bilanzierte Paik 2000 im Gespräch mit dem Abendblatt. «Ich habe keine Zeit mehr zu provozieren, ich muss meine Dinge schnell erledigen.»
Provokation, das war Paiks Markenzeichen. Das fünfte Kind eines Textil- und Stahlfabrikanten floh 1950 vor dem Koreakrieg mit seiner Familie über Hongkong nach Tokio, wo er von 1952 bis '56 Musik- und Kunstgeschichte und Philosophie studierte. Im Alter von 24 Jahren ging Paik, damals ein schmächtiger Mann, der meist Anzug trug, nach Deutschland, um in München und Freiburg sein Wissen über Komposition zu vertiefen. 1958 lernte er in Köln Karlheinz Stockhausen, in Darmstadt den US-Komponisten John Cage kennen. Schlüsselerlebnisse, die ihn zur Aktionsmusik inspirierten - Arrangements zufälliger Töne, die im Zerschmettern von Instrumenten gipfelten. Ein Schock fürs Publikum. Parallel zur Fluxus-Bewegung, bei deren Happenings er auch mit Joseph Beuys agierte, startete Paik Experimente mit verzerrten TV-Programmen - gezeigt auf der ersten Einzelausstellung in der Wuppertaler Galerie Parnass 1963. Einen Skandal löste er 1967 mit der «Opéra Sextronique» aus, die seine Muse, die Cellistin Charlotte Moormann, aufführte, während sie sich entblösste.
1964 zog Paik in die USA, deren Staatsbürger er 1976 wurde. Von New York aus reiste er als Kulturnomade durch die Welt, übernahm 1979 eine Professur an der Düsseldorfer Kunstakademie, lehrte später auch an Hamburgs Hochschule für bildende Künste.
Manfred Eichel, ehemaliger Chef der NDR-Sendung «Kultur aktuell», hatte '88 Paiks internationales Videoprojekt «Wrap around the World» für Hamburg koordiniert. «Ich habe selten einen so gebildeten Menschen wie Paik kennengelernt. Er wusste über deutsche Literatur und Philosophie mehr als die meisten Deutschen. Und er war sehr verschmitzt», erinnert er sich. «Paik ist die Diva auf dem westöstlichen Diwan im Zeitalter der Massenkommunikation», sagt der neue Kunsthallenchef Hubertus Gassner über den Stellenwert des Künstlers.
Die Bildröhre wurde Paik zur Leinwand, die Videokamera zum Pinsel, die Monitore zu Bausteinen seiner flimmernden, verstörenden Skulpturen - wie bei der Schildkröte, die 2000 noch im Hamburger Kunstverein zu sehen war. Ein Symbol der Unsterblichkeit. Paiks Werke werden für uns noch lange auf Sendung sein.
www.abendblatt.de Birgit Reuther 31.01.2006
Biographie Nam June Paik
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