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4.2.06

Regimekritik unter Fussballfans

Tod oder Exil? Das sind die Alternativen eines Fussballfans auf einer der Theaterbühnen in Teheran. Kritische Gesten gibt es viele, aber auch positive Stimmen zur Politik von Präsident Ahmadinedschad. Eindrücke vom Teheraner Fadjr-Festival

Warum gab es in Teheran letztens eine Wasserknappheit? Der Präsident hat endlich ein Bad genommen! Warum gab es Cholerafälle, als Ahmadinedschad an die Macht kam? Weil er zur Feier des Tages seine alten Socken in den Kanal warf! Das Erste, wovon uns Iraner erzählen, sind die Witze. Sie kursieren in 90 Prozent aller SMS-Botschaften. Nun versucht der iranische Präsident, ein Kontrollsystem für Mobiltelefone zu entwickeln - aber er hat genug damit zu tun, das Internet zu kontrollieren und die NGOs zu bespitzeln. Im Iran werden immer neue Webseiten blockiert, allein 90 Prozent der feministischen Seiten - während wir da waren, kam die persische BBC-Seite dazu.

Wenn man zu Hause erzählt, dass man in den Iran fährt, kann man auf die Standardfrage «Hast du keine Angst?» wetten. Seit Ahmadinedschad jeden Tag mit provokativen Bonmots in den Schlagzeilen steht, können sich Iranunkundige kaum vorstellen, dass in Teheran so etwas Harmloses wie das grösste Theaterfestival im Mittleren Osten stattfindet. Der Iran, dessen Bevölkerung zu 70 Prozent aus Menschen unter 35 besteht, ist ein absolut sicheres Reiseziel - und macht zudem süchtig.

Denn es gibt kaum einen Ort im Vorderen Orient, wo es eine so grosse Schicht kulturinteressierter, offener und gebildeter Menschen gibt. «Hier kann man nicht anders, als Künstler zu werden», sagt eine junge Frau im Stadttheater, die eigentlich Buchhalterin ist. Es summt und braust im runden Theaterbau, etwa 15.000 Zuschauer hat das Festival, die Plakate hängen weit sichtbar im Stadtbild, schon nachmittags bilden sich Schlangen vor den Kassen. Das Fadjr-Festival wurde 1983 als Feier der Revolution gegründet, eine «Morgenröte», (so «Fadjr» auf Deutsch), die zehn Tage dauert. Auf den ersten Blick ist es dieses Jahr viel besser organisiert als sonst. Das Festivalprogramm auf Englisch war schon eine Woche vorher da, der Katalog bereits fertig - allerdings blicken Chomeini und Chamenei zum ersten Mal streng aus den Seiten und rufen zum islamischen Theater auf.

Auch Ahmadinedschad, der angeblich das Theater liebt, hat ein Grusswort geschrieben: Theater soll vor allem religiöses Wissen in die Welt bringen. Davon ist im Festivalprogramm nicht viel zu merken. Sunny im iranischen Stück «F.A.N.S.» tanzt zu den frivolen Klängen von Vanessa Paradis, wenn sein älterer Bruder nicht guckt - dabei hat der Präsident gerade westliche Musik verboten. Sunny ist ein wenig zurückgeblieben, aber noch hell genug, um mit seiner Schwester Agnes und der Schwägerin Nancy Fans von Manchester United zu sein. «F.A.N.S» von Mohammad Rahmanian wird auf der grössten der zwölf Festivalbühnen gegeben und ist seit 40 Vorstellungen ausverkauft. Eine doppelbödige Metapher: Der älteste Bruder Fanny ist so vernarrt in ManU, dass er dafür über Leichen geht. Er klaut den Pokal, als sie verlieren, bricht seiner Frau den Arm, als sie ihn zurückhalten will, verbietet seiner Schwester den Frauenfussball - und treibt Sunny in den Selbstmord, als er nicht spurt.

Tod oder Exil - etwas anderes gibt es nicht, um seinem Fussballfanatismus zu entkommen. Für Iraner ist völlig klar, dass der schwarzgekleidete Fan Fanny für den religiösen Fundamentalismus der iranischen Regierung steht - sie amüsieren sich prächtig. Eine freche Gleichung: Iraner, die ja selbst den Fussball über alles lieben, führen vor, wohin übersteigertes Lieben führen - und auch wenn sie die Sachlage in eine englische Familie verlegen, bleibt klar, wer gemeint ist.

Auch andere der rund 60 Stücke brechen mit Erwartungen, die man als westlicher Besucher vielleicht mitbringt. Keine USA-feindlichen oder märtyrerverherrlichenden Stücke weit und breit - sondern Antikriegsstücke. In «Schlacht» von Sasan Ghajar malträtieren zwei Soldaten, es könnten amerikanische oder iranische sein, einen stummen Mann. Er sieht aus wie ein Heiliger -vielleicht Mohammed. Oder Jesus. Die Intensität der Folter steigert sich, da sich der Mann schweigend immer wieder aufrichtet - bis sich die Soldaten selbst erschiessen.

In «2 Quadratmeter Krieg» kämpfen vier Soldaten slapstickartig um jeden Zentimeter eines Spielfelds, den sie hinter ihrem Rücken wieder an den Feind verlieren - bis sie entdecken, dass sie schon tot sind und nur noch Schattenkämpfe führen. Der Krieg ist in diesen Stücken nicht heroisch, sondern ziemlich lächerlich - fast wie ein Reflex auf die Drohgebärden zwischen Iran und dem Westen. Wenn man Regisseur Nima Deghan darauf anspricht, weicht er aus. «Krieg findet auf vielen Ebenen statt - man scheint ihn irgendwie zu brauchen. Können Sie mir sagen, warum Amerika im Namen des Friedens andere Länder attackiert? Warum sie anderen Menschen Zivilisation bringen wollen, indem sie foltern? Als ich mit einem Stück nach Italien eingeladen wurde, wunderte man sich dort, dass Iraner modern angezogen waren und Theater spielten. Amerika scheint ein ähnliches Missverständnis zu haben.»

Iraner sind sich schmerzhaft bewusst, wie unvereinbar Aussen- und Innensicht auf ihr Land auseinander klaffen. Der Künstler Mahmoud Bakhshi hat gar eine Installation über den angstvollen Blick gemacht, der aus reinen Oberflächenzeichen genährt wird: In «Mahmouds Driving School» stellt er grafische Fahrschul-Verkehrssituationen dar, im Text darunter beschreibt er terroristische Eskalationsszenarien, was ein schönes, konzeptuelles Flimmern ergibt.

«Wir gehen durch dunkle Zeiten», sagt nicht nur die Theaterkritikerin Laleh Taghian, aber sie ist die Einzige, die ihren Namen unter das Zitat setzen lassen möchte. Ihr Theatermagazin wurde geschlossen. Sie erzählt, dass die gesamte Kultur jetzt nach religiösen und traditionellen Werten ausgerichtet wird. Dass kaum mehr Bücher veröffentlicht werden, sondern monatelang bei der Zensurbehörde liegen. Dass wieder die gesamte Festivalleitung ausgetauscht wurde, wie auch die Leiter der anderen Kulturbehörden. «Seit 24 Jahren versuchen wir, ein gutes und internationales Festival zu machen. Jetzt ist es schlecht, klein und provinziell geworden, das stimmt traurig», sagt sie.

Auch die vier deutschen Stücke - Deutschland ist so gut repräsentiert wie kein anderes Land - kommen diesmal von kleinen, freien Gruppen. Doch weder das Freiburger Theater im Marienbad mit dem Kinderstück «Der Teufel mit den drei goldenen Haaren» noch die freie Kölner Theatergruppe «Tiefrot» mit einer müden Adaption von Fellinis «La Strada» sind sehr typisch - im Iran erhält man einen seltsam verschobenen Blick auf die deutsche Theaterlandschaft. Einzig Anja Gronaus grossartiges Einfraustück «Johanna» verhandelt einen brisanten Stoff: Wo beginnt der legitime Tyrannenmord - und wo schlägt er in Terror um? Der Diskussionsbedarf der Iraner ist immens, aber sie beschäftigen sich vor allem mit der Form dieses Theaters - zu Diskussionen über die Legitimität von Gewalt kommt es kaum.

Wenn man sich unter den jungen Menschen auf dem Festival bewegt, kann man fast vergessen, dass diesen Präsidenten ja auch jemand gewählt haben muss. Auf der Suche nach einem Ahmadinedschad-Anhänger gerate ich an einen Verkäufer von Küchengeräten. Für ihn ist die Atmosphäre gerade wie zu Zeiten der Revolution. «Er hat viele Feinde, aber er wird es schaffen», sagt er.

Ahmadinedschad hat die Kreditzinsen heruntergesetzt und er hat endlich mal gesagt, was viele vor ihm nur dachten: dass der Iran ein Recht auf Atomenergie hat, und dass das mit den Zionisten ja wohl auf Geschichtsfälschung beruht - ohnehin werden in regelmässigen Abständen Interviews mit Holocaust-Leugnern in der englischsprachigen Tehran Times veröffentlicht.

Das ist natürlich erwartbar. Trauriger ist vielleicht, dass selbst eine 20-Jährige, Mitglied in einer politischen Frauengruppe, es gar nicht so schlimm findet, dass Ahmadinedschad jetzt an der Regierung ist. «Er ist das wahre Symbol des Regimes - unter Chatami haben sich die Menschen nur faul zurückgelehnt. Jetzt werden sie aktiv und wehren sich endlich mal selber.»

Natürlich nur, fügt sie hinzu, wenn es keinen Krieg gibt. Dass es ihn nicht geben wird, daran glaubt man selbst nicht mehr so recht.

taz vom 4.2.2006, S. 21, 276 Z. (Kommentar), Dorothea Marcus

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