Spurensuche
Spurensuche im Centre Dürrenmatt.
Museum für den Schriftsteller und Maler Friedrich Dürrenmatt zog 1952 nach Neuchatel/Neuenburg an die Sprachgrenze, blieb aber den Einheimischen lange Zeit ein Fremdling. So berühmt und anerkannt er in der Literaturwelt war, in der kleinen Stadt Neuenburg wurde er mit neugieriger Distanz und Bewunderung betrachtet.
Späte Würdigung wurde ihm zuteil, als im Jahr 2000 - zehn Jahre nach seinem Tod - in seinem ehemaligen Wohnhaus das Centre Dürrenmatt eingerichtet wurde. Heute ist es als Literaturarchiv, Ausstellungsraum für Dürrenmatts Gemälde und Gedenkstätte eines der wichtigsten Schweizer Autoren für Besucher und Besucherinnen zugänglich. Für eine auffallende Aussenfassade sorgte der Schweizer Stararchitekt Mario Botta.
Idyllische Abgeschiedenheit
Unter unserem Garten fällt das Terrain steil ab, der jenseitige Talhang ist bewaldet, doch sehen wir darüber hinweg auf den See; jenseits des Sees liegen freiburgisches und waadtländisches Bauernland, bewaldete Hügel, die sich zu Alpen hochtürmen, vom Wohnhaus aus werden an klaren Herbst- und Wintertagen oder bei Föhn die Alpen, vom Finsteraarhorn über die Blümlisalp bis zum Montblanc sichtbar, auch das Matterhorn ist zu erkennen, eine winzige Zacke; alle Gipfel ein Teil des Massivs, das vor 100 Millionen Jahren aus dem Tethysmeer hervorschoss, in verschiedenen gewaltigen Schüben, deren letzte den Tafel- und Kettenjura ans Tageslicht zwängte. Am Südhang des Letzteren haben denn auch Neuchatel sich und ich mich angesiedelt. Betrachte ich mit dem Fernrohr die um wenige Millionen Jahre älteren Alpen und ihre Vorberge, vermag ich den Kirchturm von Guggisberg zu erspähen; aus dem Dorf stammte meine Familie und ich bin immer noch Bürger dieser Gemeinde.
Dieses Haus mit Aussicht, beschrieben vom Dichter Friedrich Dürrenmatt, liegt auf einem Hügel über dem Neuenburger See im schweizerischen Jura. In idyllischer Abgelegenheit, nicht weit vom Botanischen Garten, ist es in der Pertuis du Sault Nummer 74 zu finden. Dieses Haus war die erste Bleibe Friedrich Dürrenmatts, als dieser 1952 nach Neuchatel/Neuenburg zog.
Gobelins von Dürrenmatts Muter
In seiner Jugend schwankte Friedrich Dürrenmatt lange zwischen der Literatur und der Malerei. Das Los fiel schliesslich zugunsten des Schriftstellerberufs. Er hörte jedoch nie auf zu zeichnen. Das Schreiben war für ihn seine «Profession», das Malen hingegen seine «Passion». Nach seinem Tod legte Dürrenmatts zweite Frau Charlotte Kerr den Grundstein für das Centre Dürrenmatt.
Am besten beginnt man den Rundgang durch das Centre Dürrenmatt im alten Wohntrakt des 1952 erbauten Hauses: Die Bibliothek ist ein lang gezogener, schmaler Raum mit weissen Bücherregalen bis zum Plafond, schönem Sternen-Parkettboden, mit Lehnstühlen, deren Gobelins Dürrenmatts Mutter gestickt hatte, und einem Tisch, der noch aus dem Elternhaus, einer Pfarrei in Konolfingen im Emmental. Hier verbrachte Dürrenmatt einen Grossteil der Zeit, empfing Freunde und Journalisten, rauchte Pfeife und trank das eine oder andere Glas Rotwein. Dürrenmatt war ja bekanntermassen ein Kenner und Liebhaber von Bordeaux-Weinen und besass einen imposanten Weinkeller. Es geht sogar die Legende, er habe sich Honorare und Rechteabgeltungen in Bordeaux ausbezahlen lassen. In der Bibliothek wurden viele anregende Gespräche geführt, Dürrenmatt war bekannt für seine Geselligkeit und Lebenslust. In Gesellschaft galt er als ein unterhaltsamer und faszinierender Erzähler.
Im Bauch des Berges
Der Blick von der Terrasse ist frei, keine anderen Häuser haben dem Dichter die Aussicht verstellt. Im Laufe der Zeit kaufte Dürrenmatt nämlich sämtliche angrenzenden Grundstücke ganz bewusst auf, um die Verhüttelung seines Berges zu verhindern.
Geht man eine der beiden Treppen, die sich von der Terrasse aus in den Garten schwingen, bis zum Zaun hinunter, kann man gut erkennen, dass sich der Architekt Mario Botta sehr an den Gegebenheiten des Ortes orientiert hat: Er nützte die Hanglage aus, um sein Museum gewissermassen in den Bauch des Berges zu verlegen. Er baute einen grossen geschwungenen Raum unterhalb der Terrasse des Wohnhauses. Wie ein Schild oder eine hell-dunkel changierende Staumauer aus Schiefer schmiegt sich die hohe Aussenwand in einem grossen Bogen an den Berg.
Zitate und Fotos
Durch den mehrstöckigen Eingangsturm gelangt man in das Innere des Museums. Im ersten Ausstellungsraum erfährt man anhand von Zitaten und Fotos Details aus Dürrenmatts Leben und Denken. Geboren in Konolfingen im Emmental als Sohn eines reformierten Pfarrers, Studium der Literatur und Philosophie in Bern. 1946 Abbruch des Studiums und Heirat mit der Schauspielerin Lotti Gessler. Von da an arbeitete er als freier Schriftsteller, erste Erfolge, Übersiedelung mit der Familie - inzwischen waren drei Kinder auf die Welt gekommen - nach Neuchatel.
Nach dem Tod seiner ersten Frau heiratete Dürrenmatt 1982 die Schauspielerin und Filmregisseurin Charlotte Kerr. Am 14. Dezember 1990 starb er nur wenige Tage vor seinem 70. Geburtstag.
Viele Fotos zeigen den Dichter mit Kollegen wie Urs Widmer, Hugo Loetscher oder Max Frisch, mit dem er gut befreundet war. Und auch mit seinem Freund, dem Hotelier Hans Liechti. In einem weiteren Raum wird Dürrenmatts Arbeit für das Theater und seine Freundschaft zu Schauspielern wie Gustav Knut und Therese Giese vorgestellt. «Es steht geschrieben», «Der Besuch der alten Dame», «Die Physiker» - diese und andere Theatererfolge Dürrenmatts werden mit vielen Probenfotos, Notizen, Anmerkungen zu den Schauspielern in Erinnerung gerufen, immerhin war Dürrenmatt einer der erfolgreichsten Schweizer Autoren.
Ins Auge fällt in diesem etwas abgedunkelten Raum eine eindrückliche Wandcollage, die Dürrenmatt aus Theaterdokumenten in einer Nacht zusammengestellt hatte. In einem Videosaal kann man Filme wie «Es geschah am helllichten Tag», Theateraufzeichnungen, Filmporträts und Interviews nach eigener Wahl betrachten: Auf Knopfdruck sieht man dann den Dichter in seiner ganzen Leibesfülle, zumeist mit Pfeife oder Zigarre, immer mit seiner dicken, schwarzen Brille. Für seine pointierten Vorträge war er berühmt.
Zusammenhang von Bild und Text
Die Annäherung an das Bildwerk Dürrenmatts hat Mario Botta wie ein Theaterstück inszeniert. Nach und nach - wie die Annäherung durch ein Labyrinth - erfährt man immer mehr von den unterschiedlichen Facetten des Künstlers und über den Zusammenhang von Bild und Text. Schliesslich mündet alles Bestreben in dem grossen Rundbau, in dem Bauch des Berges und man beginnt Mario Bottas Intention zu begreifen: Ein Museum sollte nie ein neutraler Ort sein. Es muss mit dem ausgestellten Werk in Einklang sein.
In unserem Fall bestand die Schwierigkeit darin, dass Friedrich Dürrenmatt nicht ein Maler war. Sein Bildwerk ist der komplementäre Ausdruck zu seinem literarischen Werk. Also genügte es nicht, seine Bilder an die Wände zu hängen. Es galt, einen beunruhigenden Raum zu entwerfen, der sein Denken ausdrückt und nicht einen schönen Raum für seine Bilder.
Für sich selbst gemalt
Friedrich Dürrenmatt betonte selbst - zum Beispiel in den «persönlichen Anmerkungen zu meinen Bildern und Zeichnungen» -, dass er kein Maler sei. Und dennoch sind die Ausstellungsbesucher von seinem Werk und seiner Maltechnik höchst angetan. Friedrich Dürrenmatt malte für sich selbst. Er stellte sich der Zeit und seiner Ansicht nach war es nicht möglich, sich unserer Zeit mit dem Wort allein beizukommen.
Dürrenmatts Zeichnungen waren nicht Nebenarbeiten zu seinen literarischen Werken, sondern gezeichnete und gemalte Schlachtfelder, auf denen sich seine schriftstellerischen Abenteuer, Experimente und Niederlagen abspielten. Er schuf farbenprächtige, von den unterschiedlichsten Kunstrichtungen beeinflusste, surrealistisch anmutende Gemälde mit vielsagenden Titeln: «Der versagende Atlas», «Die Katastrophe», «Todesengel», «Letzter Angriff» oder «Der singende Orpheus treibt den Styx hinunter». Diese Bilder sind in Bottas grossem Rundbau zu sehen. Ein Bild aber muss Mario Botta besonders wichtig gewesen sein. Für dieses Gemälde, in kräftigen Erdfarben und Schwarz gehalten, hat er eigentlich diesen weitläufigen Raum gestaltet. Dieses eine Bild wollte er optimal präsentieren: «Letzte Generalversammlung der Eidgenössischen Bankanstalt». Um einen reich gedeckten Tisch haben sich elegant gekleidete Herren versammelt, die sich am oberen Bildrand entweder erhängen oder sich - gewissermassen beim letzten Abendmahl - die Kugel geben.
Für den Archtekten Mario Botta ist - ebenso wie in dem Theaterstück «Besuch der alten Dame» in dem Bild «letzte Generalversammlung des Eidgenössischen Bankvereins» Dürrenmatts unvergleichliche Ironie und analytische Kraft zu spüren und überdies ein «politisch unkorrekter» Geist, dessen Liebe zum eigenen Land denn noch unverkennbar war. Für den Architekten war der Dichter ein «ausserordentlicher Mensch, der so typisch schweizerisch und gleichzeitig unschweizerisch war und es schaffte, den schweizerischen Perfektionismus auf ebenso groteske wie ironische Weise darzustellen».
Text: Ursula Burkert
Ambiente, Sonntag, 5. Juli 2009, 10:06 Uhr oe1.orf.at
www.cdn.ch
Friedrich Dürrenmatt (Wikipedia)
Friedrich Dürrenmatt (HLS)
Mario Botta (Wikipedia)
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
<< Home