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4.3.06

El Raval - Barcelona zwischen zwei Welten

Vom schäbigen Arbeiterviertel zum wuseligen Szenebezirkmit Galerien, Cafés und Geschäften – der neue Zauber von El Raval.

Wenn das Fenster morgens gegen zehn Uhr geöffnet wird, ist das chaotisch-fröhliche Konzert der Stadt schon längst in vollem Gang: Motorroller knattern, Taxis hupen, das Geschirr der Strassencafés klappert, von irgendwo dröhnt Musik – Barcelona, wie es leibt und lebt. Schnell zieht diese lebensgierige Metropole die Besucher in ihren Sog, verwirrt mit ihren Möglichkeiten, betäubt mit Geräuschen und Gerüchen.

An der Metrostation Liceu ist der erste Impuls, auf die Ramblas einzuschwenken, die pulsierende Aorta der 1,5-Millionen-Stadt. Auch reizt der Mercat de la Boqueria gegenüber, ein Markt, auf dem fangfrisches Meeresgetier wie Miesmuscheln, Sardellen, Tintenfische kunstvoll drapiert aufliegen. Am Stand daneben gibt es Obst und Gemüse in üppiger Vielfalt. Nicht nur für Köche ist das ein Ort mit hohem Suchtpotenzial.

Doch heute wird widerstanden, die kleinen Gassen sind das Ziel, die weg von den grossen Ramblas in das dichte Gassengeviert des Viertels El Raval führen. Feucht riecht es dort mancherorts, nicht nur von all der aufgehängten Wäsche. Sonnenstrahlen fallen nur spärlich auf das Pflaster, zu eng sind die düsteren Gassen. An einer Strassenecke umkreisen junge Männer neugierig eine Gruppe grell geschminkter schwarzer Frauen. Ein paar Strassen weiter wird die Kunst zum Objekt der Begierde. Wie an einer Perlenschnur reiht sich Galerie an Galerie. Zwischen den Gebäuden klaffen immer wieder Graffiti-Landschaften an Abbruchhäusern. „Barcelona – New York“ hat einer an eine Wand gepinselt. Es ist eine Losung, die dem Selbstbewusstsein Barcelonas entspricht.

El Raval war lange die dunkle Herzkammer der Stadt. Einst Viertel der Arbeiter und Bohemiens, später der Drogendealer, Dirnen und Strassenbanden. Wer nicht musste, machte lange Zeit einen grossen Bogen um die dunklen, leinenüberspannten Gassen. Doch der Stadtteil stieg in den vergangenen Jahren wie ein Phönix aus der Asche. Heute ist das Raval der kreative Schmelztiegel der Stadt. An Strassen wie der Carrer del Carme ist ein Mix aus exquisiten Läden zu bestauen: Vinyl-Shops mit Hip-Hop-Zubehör, Antiquitätentrödel und Design-Läden, Meeresfrüchte-Stände und Antiquariate, und natürlich Cafés.

Wer nach etwas anderen Kleidungsstücken sucht, steuert gezielt spanische Young-Fashion-Ketten wie Desigual an. Kreative, die gerne mit kostbaren Papieren arbeiten, suchen den Laden La Bolsera auf und fühlen sich sogleich im Papier-Himmel. Die Stadt vibriert hier wie ein Wespennest, was massive Auswirkungen auf die Mietpreise hatte: Die sind in den vergangenen fünf Jahren rasant gestiegen. Die hohen Immobilienpreise haben für die Alteingesessenen neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnet. Manche haben ihre Häuser gründlich renovieren lassen, nun können sie an Banker, Architekten und Künstler vermieten oder verkaufen und damit viel Geld verdienen.

Trendiges Jungvolk und Kunstagenten, Immobilienmakler und Boutiquenbesitzer haben das Viertel für sich entdeckt und geniessen in den Cafés wie dem „Kasparo“ kurzärmelig ihre Espressi. Abends zieht es sie in die Tapas-Bars. Zum Aperitif gibt es ein Glas Cava, katalanischer Schaumwein, der im Champagnerverfahren hergestellt wird, und ein paar Happen. In El Raval gibt es aber auch traditionelle Lokale, die Deftiges bieten: gebratenes Ziegenhirn, Schweinefüsse oder Würfel aus geronnenem Rinderblut. Und nach dem Essen wird gefeiert, in Tanzpalästen oder Diskos.

Seit hundert Jahren entwickelt sich Barcelona in Schüben, häutet sich, erfindet sich immer neu. So war es auch mit dem Raval. Gigantische Pläne zum Innenstadtumbau haben den neuen Bewohnern dort den Weg geebnet: die Peri, „Planes especiales de reforma interior“. Die Stadtverwaltung hatte im Jahr 1979 eine Renovierung der übervölkerten und maroden Innenstadt beschlossen. Den „Leerraum der Stadt“ neu zu entdecken war damals das Ziel des Architekten Oriol Bohigas. Der Mann hatte eine klare Vorstellung, wie die Plätze auszusehen hatten: „Hart“ sollten sie sein, von kühler Sachlichkeit, gestaltet mit Granitplatten.

Doch es sollte nicht nur draussen, sondern auch drinnen Leerräume geben. So entstanden mitten in den alten Vierteln moderne Bürgerzentren, Schulen und Sporthallen. Viertel, die zu dicht besiedelt waren, wurden ausgedünnt, sprich abgerissen. Umgehungsstrassen sorgen heute dafür, dass der Verkehr nicht mehr durch das Raval rauscht.

Barcelona hatte den öffentlichen Raum wiederentdeckt. Die Frage, ob man El Raval sterben lassen oder wiederbeleben soll, war beantwortet. Doch wohin mit den Einwohnern, deren Häuser abgerissen wurden? Sie mussten das Viertel verlassen. Jahrelang tobte unter Architekten ein Streit darüber, ob es gut war, in diesen Stadtteil solche Kerben zu hauen.

Biegt man in die Carrer del Elisabets ein, trifft man auf die wahr gewordene Vision der Stadtplaner. Drogenabhängige und Prostituierte sind verschwunden, dafür wurde hier die Kunst der Gegenwart mitten hineingepflanzt. Geballt tritt sie auf: Da ist das CCBB, das Centre de Cultura Contemporània, mit dem riesigen Spiegel auf dem Dach, und das FAD, eine Vereinigung verschiedener Künstler- und Designverbände. Noch ein Produkt aus dem Schmelztiegel El Raval: Barcelona gilt unter Kennern als die zurzeit innovativste Design-Metropole Europas.

Und da ist noch das Macba, das Museu d’Art Contemporani de Barcelona. Die von Stararchitekt Richard Meier entworfene Glas-Stahl-Konstruktion sieht aus wie ein gestrandetes Raumschiff. Auf dem Platz davor pocht das junge Herz des Raval. Marokkanische Jungs sausen mit ihren Rollerblades die Betontreppen rauf und runter, andere donnern ihren Fussball an die Glaswände. Auf dem riesigen Vorplatz rollen Skateboarder in bunter Kleidung geräuschvoll über den Granit. Barcelona ist mit seinen vielen innerstädtischen Flächen ein Skater-Treffpunkt.

Die Wintersonne wärmt mit 17 Grad angenehm das Pflaster. Rund um die Macba und auch sonst in der Stadt haben Street-Art-Künstler mit Dosen und Schablonen eigenwillige Wände geschaffen. Drinnen im Museum werden Baustellen und Verkehrstafeln zu Kunst erklärt. Kunst und Alltag verschmelzen hier.

Unter den Skateboardern ist auch Kasem. Er lebt ein paar Strassenzüge weiter in einem dieser Häuser, die eigentlich abgerissen werden sollten, da zu feucht und ohne richtige sanitäre Anlagen, bei Menschen, die das Licht eher scheuen. Diese Winkel haben dazu beigesteuert, dass das Raval noch nicht zum globalen Spassviertel mutiert ist. Das Raval verbreitet noch immer einen gewissen Stolz, die Häuser wurden hier nicht totsaniert.

Das Board unter den Arm geklemmt, schlendert Kasem auf dem Heimweg ins südliche Raval, auch Barri Xino genannt. Vorbei an marokkanischen Lebensmittelläden mit Meeren von Kräutern, vorbei an islamischen Metzgereien, wo die gehäuteten Kaninchen an Haken hängen. An Cafés, wo es nach Urin und Latte macchiatto gleichzeitig riecht. An Nachmittagen spielen schwarze Kinder auf den Plätzen zwischen streunenden Katzen Fussball. Von oben tropft die Wäsche. Das Raval lebt.

Wie viele Nordafrikaner kamen auch Kasems Eltern Anfang der siebziger Jahre hierher. Marokkaner holten ihre Frauen nach, die philippinischen Hausmädchen ihre Männer. Von den 30000 Marokkanern in Barcelona leben 10000 in El Raval.

Doch nicht nur die alten windschiefen Häuser sind noch da im Raval, auch die Absinth-Bars. Dunkelgrün schimmert das Getränk in der Marsella Bar in einem Glas. Es ist ein Ort wie aus Jean Genets „Tagebuch eines Diebes“. Der Rauch von Jahrzehnten hat die Wände patiniert. Männer tauchen den Zucker routiniert in flüssiges Grün, zünden ihn an und verharren Stunden vor einem Glas. Der Wermut steigt schnell in den Kopf. Ein orangehaariges Pärchen flirtet in der Ecke, durch den Raum fliegt derbes Català, die Sprache, die während der Franco-Diktatur verboten war. Der grüne Saft fliesst.

Selbst die spärlich ausgeleuchteten Gassen im Raval erscheinen manchem beim Hinaustreten plötzlich seltsam grün. Der Likör beschwört nostalgische Zeiten herauf. Der alte Katalane am Tresen erinnert sich an seine Jugend in den Fünfzigern, als Malermeister Miró mit Konsorten durch dieses Viertel zog und Picasso mit seinem Formenkanon die traditionelle Malerei sprengte. Bohemiens aus aller Welt gebaren damals einen subversiven Geist. Den versprühe El Raval mancherorts noch immer, so meint der Alte. Das Viertel mit seinem Labyrinth aus Wäscheleinen, morbiden Fassaden und kühnen Museumsbauten inspiriert immer noch – vielleicht sogar mehr denn je.

www.merkur.de Vera Rüttimann 04.03.2006

Anreise: Billig-Airlines wie Air Berlin und Ryanair fliegen ab 19,90 Euro von verschiedenen deutschen Flughäfen nach Barcelona.

Hotels: Hotel Neri, Sant Sever 5, Tel. 0034/93/3040655, DZ 285 Euro: modern designtes Hotel in einem Palast aus dem 18.Jahrhundert.
Hotel Banys Orientals, Argenteria 37, Tel. 0034/93/2688460, DZ 89 Euro: Designerhotel in der Altstadt mit kleinen, aber schönen Zimmern.

Bars: Kasparo, Pl. Vincenc Martorell 4: ruhiges Arkaden-Café mitten im Trubel, das viele Kreative anzieht. Marsella Bar, Carrer de Sant Pau 65: Barcelonas legendärste Absinth-Bar.

Auskunft: Turisme de Barcelona, Plaça de Catalunya 17, Tel. 0034/93/2853834.

Externe Links:
www.barcelonaturisme.com
www.desigual.com
www.airberlin.com
www.hotelneri.com

5 Kommentare:

Anonymous Anonym said...

danke...sehr informativ.

und besuchn sie bitte NICHT die hiphopperklamauken

4:41 PM

 
Anonymous Anonym said...

Interessanter Artikel
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12:57 PM

 
Anonymous Anonym said...

Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

9:17 AM

 
Anonymous Anonym said...

Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

9:23 AM

 
Anonymous Anonym said...

Ich finde Ihren Artikel auch sehr interessant! Sehr informativ!
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9:23 AM

 

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