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7.3.06

Der Klaus, der Ken, der Bertrand und der Juri

Vier Freunde sollt ihr sein – die Bürgermeister von London, Paris und Moskau zu Gast in Berlin

Ken Livingstone breitet die Arme aus: «Bertrand, my dear!» Der Londoner Bürgermeister ist mit seinem Bentley ein wenig spät am Hotel Adlon vorgefahren, und der Gastgeber Klaus Wowereit hat die Kollegen aus Paris und Moskau um Geduld bitten müssen. «Der Ken muss erst noch seinen Koffer auspacken.» Kein Problem. Bertrand Delanoë und Juri Luschkow plauderten so lange über die Fussball-Weltmeisterschaft.

Dann rauscht Livingstone durchs Foyer und strahlt die Freunde an: «I’m ready.» Ja, man darf es ruhig eine Männerfreundschaft nennen, die sich seit 2001 entwickelt hat. Sie mögen sich, sie duzen sich. Offiziell heisst die Quadriga der Bürgermeister aus Paris und Moskau, London und Berlin: «M4». Sie vertreten vier europäische Hauptstädte, die miteinander verbandelt sind, über Städtepartnerschaften, mit den üblichen Austauschprogrammen und Verwaltungsvereinbarungen. Am frühen Dienstagabend, als Luschkow als Erster einflog und «den ljiebben Chlaus» im Roten Rathaus aufsuchte, wurde sogleich ein Abkommen «zur Zusammenarbeit der Berliner Verkehrsbetriebe und der Moskauer Metro» besiegelt. Dann gab es Sekt. «Nasdrowje!», prostete Wowereit in die Kameras. Luschkow antwortete: «Na sdarowje!» Er hatte gleich zwei Fernsehteams aus Moskau mitgebracht.

Zwei Stunden später also ist der M4-Gipfel komplett, und vier vergnügte Stadtoberhäupter schlendern vom Adlon zum Brandenburger Tor – ein Fototermin. «Ein schöner Platz», lobt Delanoë, und Livingstone nickt anerkennend. «Ein kleiner Platz», sagt Luschkow und schmunzelt. Der Regierende macht sich als Stadtführer nützlich: links die Baustelle der US-Botschaft, rechts die französische Vertretung. Berlin sei ja so froh über die schöne Quadriga auf dem Brandenburger Tor. «Die ist uns nämlich mal gestohlen worden.» Kollege Delanoë schaut versonnen auf die bronzenen Pferde, die Napoleon einst mitgehen liess. Dann fahren sie alle zum Hotel Interconti, um im Restaurant «Hugo» gut zu essen und zu trinken.

So unbeschwert geht es also zu, wenn sich die Stadtoberhäupter der grossen Metropolen Europas treffen. Der Kollege aus Rom hatte auch mal gefragt, ob er nicht mitmachen könnte, aber bei vieren soll es bleiben. Juri Luschkow, seit 14 Jahren Oberbürgermeister von Moskau, hatte sich das Vierer-Treffen einst ausgedacht, einer der wichtigsten Männer Russlands, der keine Gelegenheit ungenutzt lässt, die Kontakte zur Europäischen Union zu erweitern. Da kommen Städtepartnerschaften gerade recht.

Im September 2004 hatten sich Luschkow und Wowereit, Livingstone und Delanoë zum ersten M4-Gipfel getroffen, damals in Moskau. Luschkow: kleiner stämmiger Machtmensch, verheiratet mit der reichsten Frau Russlands. Delanoë: feinsinniger Franzose, seit 2001 erster sozialistischer Bürgermeister von Paris. Livingstone: britischer Haudegen und Labour-Linksaussen, der London seit 2000 mit fester Hand regiert. Und Klaus Wowereit, der Rot-Rot 2001 salonfähig gemacht hat und bundesweit bekannt wurde, weil er sich als Schwuler outete.

Das Thema holt ihn immer wieder ein, auch dieses Mal. Zum Beispiel, als er Luschkow zunächst unter vier Augen drängt, die Christopher-Street-Day-Parade in Moskau zuzulassen. Delanoë, auch ein bekennender Homosexueller, springt Wowereit zur Seite, aber auch Livingstone hilft, den Freund aus Moskau ein wenig in den Schwitzkasten zu nehmen. Das spricht sich herum, und die Journalisten des russischen Staatsfernsehens hoffen, dass die deutschen Kollegen auf der Pressekonferenz – am Mittwoch im Roten Rathaus – entsprechende Fragen stellen. «Wir können das leider nicht.»

Die Fragen kommen auch. Aber erst nach einer kleinen Konferenz über die grossen Probleme der vier Städte. Man ist sich einig, dass der öffentliche Personennahverkehr Vorrang geniessen müsse. Man diskutiert über die Vogelgrippe, über bürgernahe Gesundheits- und Pflegedienste und das schwierige Zusammenleben der Ethnien und Religionen in den Millionenstädten.

«Voneinander lernen», heisst die Devise. Delanoë kündigt «das Jahrhundert der Städte» an und redet, wie es nur ein Franzose kann. «Die Bürgermeister der Metropolen, das sind die Architekten der Demokratie.» Und Wowereit sagt: Bürgermeister sollten auch Visionen haben und träumen dürfen. Seine Vision: ein Transrapid von Paris über Berlin nach Moskau. Und dann schwenkt das Pressegespräch tatsächlich wieder auf die Schwulenparade in Moskau ein. Luschkow will sie verbieten, um die «Gesellschaft und die Kirchen nicht zu reizen». Persönlich stehe er solchen «unnatürlichen Verbindungen» ohnehin negativ gegenüber, sagt er, Delanoë und Wowereit halten kräftig gegen.

In aller Freundschaft werden die vier Kollegen zum nächsten M4-Gipfel übrigens nach London fahren.

www.tagesspiegel.de Ulrich Zawatka-Gerlach 23.02.2006

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