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13.3.06

Bundessache Fussball

«Uefa presents» - so beginnen auf Europas Fernsehkanälen die Übertragungen von Fussballspielen der Champions League. Wer verantwortet, wer organisiert, wer «offeriert» hier eigentlich was? Die Frage ist von einigem Interesse, auch mit Blick auf das zweite grosse Standbein des Europäischen Fussball-Verbandes, die alle vier Jahre stattfindende Europameisterschaft. Herausgefordert, auch finanziell, ist da ja nicht nur die Uefa, sondern zum Mitmachen gezwungen sind auch nationale Sportverbände, Städte, Gliedstaaten und Staaten. In gut zwei Jahren betrifft es Österreich und die Schweiz. Der Nationalrat berät kommende Woche die Vorlage des Bundesrates «über Beiträge und Leistungen des Bundes an die Fussball-Europameisterschaft 2008». Man darf aufgrund der Aussprachen in den Fraktionen annehmen, dass das Geschäft unter Absingen einiger wüster Lieder den parlamentarischen Segen erhalten wird.

72 statt 3,5 Millionen

Wüste Lieder deshalb, weil sich der Bundesbeschluss fundamental von jenem unterscheidet, den die eidgenössischen Räte im Jahr 2002 verabschiedet haben. Belief sich der Kredit damals auf 3,5 Millionen Franken, werden gemäss «abgeändertem» Erlass nunmehr 72 Bundesmillionen, davon gut 25 für die Sicherheit, fällig. Das wirft in der Tat Fragen auf. Der Bundesrat begründet die exorbitante Krediterhöhung mit vertieften Erkenntnissen aus der Durchführung anderer Sport-Grossanlässe seit 2002 und Erfahrungen im Bereich Sicherheit im Zusammenhang mit dem WEF in Davos und dem G-8-Gipfel in Evian.

Da muss die Landesregierung seinerzeit wirklich regelrecht weggesehen haben. NZZ- Sportredaktoren erinnern sich an die WM 1990 in Italien, als beispielsweise die Stadt Cagliari aus Sicherheitsgründen in einen veritablen Belagerungszustand versetzt wurde. Und die Wurzeln des Hooliganismus mit dem traurigen Höhepunkt der Katastrophe im Brüsseler Heysel-Stadion (1985) reichen noch viel weiter zurück.

Einzuräumen ist, dass die Terrorbedrohung mittlerweile eine zu Beginn der ersten Planungen nicht erkennbare neue Dimension erreicht hat. (Die Beschlussfassung in den Räten erfolgte allerdings nach den Anschlägen in den USA.) Und gutzuschreiben ist dem Bundesrat, dass er mit der Zusammenfassung der Ausgaben aller Departemente einen ehrlicheren Weg als den ursprünglichen gewählt hat, der vermutungsweise darauf abzielte, vieles unter der budgetären Wahrnehmungsschwelle zu halten. Zum Nennwert nehmen darf man darüber hinaus die Versicherungen des Bundesrates, ein Vergleich mit der Kostenexplosion bei der Expo 02 sei nicht statthaft. Der Bund garantiert - zusammen mit den Kantonen - die Sicherheit; das unternehmerische Risiko des Grossanlasses trägt er nicht.

Verbreitet und mit Recht Unbehagen löst in der Politik das Milliarden-Unternehmen Uefa aus, das mit unglaublich hohen Geldbeträgen jongliert. An der EM 2004 in Portugal betrugen die Gesamteinnahmen rund 1,3 Milliarden Franken, den Löwenanteil machten mit 1,1 Milliarden die Fernseh- und Sponsoringerträge aus. Die Organisationskosten beliefen sich auf 262 Millionen, an die Teilnehmerverbände wurden 200 Millionen ausgeschüttet. 490 Millionen flossen in ein Entwicklungsprogramm zugunsten der 52 Uefa-Mitgliederverbände, und auch so noch mussten 240 Millionen in der Position Zukünftige Uefa-Betriebskosten «versteckt» werden. Auch sind die obersten Funktionäre ausgesprochen gut gehalten. Der Verband in der steuergünstigen Rechtsform eines Vereins residiert in Nyon in einer prunkvollen Zentrale, gereist wird in der Komfortklasse. Parallelen zum Internationalen Olympischen Komitee (IOK) drängen sich auf. Die Auffassung, die bescheidene Hotelinfrastruktur Sittens habe seinerzeit den Entscheid der IOK- Delegierten gegen die Walliser Kandidatur und zugunsten jener Turins befördert, hält sich hartnäckig.

Gleichwohl ist bis zum Beweis des Gegenteils davon auszugehen, dass die Uefa letztlich eine Nonprofit-Organisation ist. Mitte Jahr soll im Auftrag der EU ein Bericht über die Geldverteilungsmechanismen im europäischen Fussball veröffentlicht werden. Die Uefa leistet nach ihren Angaben Fussball- Entwicklungshilfe, gewährt Beiträge an den Breitensport, an die Trainer- und Jugendausbildung und an den Bau von Stadien, und sie ist - auch gemäss bundesrätlicher Botschaft - bereit, spezifische Leistungen der EM-Austragungsorte abzugelten.

Informationsdefizite

Beiträge zur Entlastung der öffentlichen Hand etwa im Sicherheitsbereich könnten dagegen nicht erwartet werden, schreibt der Bundesrat. Die Uefa habe das bisher immer so gehandhabt, und das sei schon bei der Prüfung der Kandidatur klar zum Ausdruck gebracht worden. Daran werden mit entsprechenden Begehren auch die Grünen, welche die Vorlage als einzige Fraktion ablehnen, nichts ändern können. Verbindlich zugesichert hat der Schweizerische Fussballverband (SFV) immerhin, die Hälfte eines allfälligen Überschusses der öffentlichen Hand zur Abgeltung der Sicherheitskosten zu überlassen.

Von der Uefa - und dem SFV - dürfte hingegen etwas anderes erwartet werden: ein sehr viel stärkeres Engagement auf dem Feld der Information. Was machen wir hier eigentlich - und warum in der Schweiz? Welches sind die Folgen für die Gemeinwesen und für die Bevölkerung, auch für jenen Teil, der dem Fussball nichts abgewinnen kann? Das wäre umso nötiger in einem Land, dessen Sportszene ausgesprochen diversifiziert ist. In einer Disziplin, die derart umfassende Verpflichtungen der öffentlichen Hand mit sich bringt, genügt es ganz einfach nicht, sich darauf zu beschränken, die Uefa-Delegierten und die Mitgliedsverbände mit Hochglanzbroschüren über die Geldflüsse auf dem Laufenden zu halten.

Hat hier der Staat allenfalls eine Leistung im Rahmen des Service public im weitesten Sinn zu erbringen, wie er das bei kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Grossanlässen - auch mit privatem Hintergrund - ebenfalls tut? Die Frage ist heikel, schon weil sich damit auch das ökonomisch unsinnigste Geschäft begründen liesse. Und weil eine Fussball-EM für den Veranstalter wie gezeigt ein hochgradig gewinnträchtiger Anlass ist. Trotzdem ist der Frage nicht auszuweichen, jedenfalls nicht mit Blick auf die Sicherheit.

Ein volles Fussballstadion, in dem - die Planungen müssen den Fall einschliessen - beispielsweise Israels Nationalteam aufträte, stellte im Krisenfall ein erstrangiges Ziel für einen Terroranschlag dar. Weder Veranstalter noch Städte noch Kantone verfügen über die Fähigkeit des Luftraumschutzes. Das kann nur die Armee. Umgekehrt gesagt: Eine Fussball-EM ist ohne die Inanspruchnahme hoheitlich erbrachter Sicherheitsleistungen, auch etwa die Grenzkontrollen betreffend, schlicht nicht mehr durchführbar. Mit Blick auf weitere Teile des Bundesbeschlusses - Subventionierung von Bahnbilletten, Marketing und Eventförderung - sei es dem Parlament dagegen unbenommen, noch die eine oder andere Feinjustierung vorzunehmen.

die habenseite

Der Staat, der sich auf die traditionellen Sicherheits- und Versorgungsaufgaben beschränkt, entspricht längst nicht mehr der gelebten Wirklichkeit. Ein Nein zum Bundesbeschluss ist keine Option, auch weil damit eine grosse Chance ausgeschlagen würde. Eine Fussball-EM in der Schweiz hat neben der Aussenwirkung auch eine Habenseite - auch wenn wir die vom Bundesrat zitierte Studie nicht überbewerten wollen, die von einer Bruttowertschöpfung von bis zu 315 Millionen Franken und zusätzlichen Steuereinnahmen von 20 Millionen spricht. Spitzen- und Breitensport bedingen sich gegenseitig. Und, ja, etwas Freude an der Sache gehört selbstverständlich mit dazu, etwa an den mitreissenden Leistungen des Schweizer Fussballteams in jüngster Zeit. Was damit gemeint ist, mag im umgekehrten Sinn ein Blick über die Grenze illustrieren. Die lamentablen Ergebnisse deutscher Fussballer in Italien in den vergangenen zwei Wochen haben 90 Tage vor der WM im eigenen Land Katzenjammer bis hinauf zu Bundestag und Ministerien ausgelöst.

www.nzz.ch 10.03.2006 met.
EURO 2008
Fussball-Europameisterschaft EURO 2008 in Basel, Bern, Genf, Zürich

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