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11.3.06

Kamelmilch für Diabetiker

Nanyuki - Adil massiert das stoppelige Euter seiner Kamelstute, greift dann mit jeder Hand eine Zitze und lässt die Milch in den Blecheimer zischen. Ein lautes Blöken, Gurgeln und Röcheln liegt in der kühlen Morgenluft. Im Hintergrund der Akazienlandschaft zeichnet sich die Silhouette des Mt. Kenya ab, des gewaltigen Fünftausenders, der tagsüber meist von Wolken verhüllt ist. Adils Bruder hält den Eimer unter das Euter, bis er halb voll ist.

Dann wischt er sich die weissen Spritzer aus dem Gesicht und giesst die frische Kamelmilch langsam durch ein Baumwolltuch in eine grosse Aluminiumkanne. Den Milchschaum, der auf dem Tuch zurückbleibt, streift er in einen kleinen Eimer ab. Die Kamelhirten nutzen ihn später, um auf einem kleinen Feuer ihren Tee mit viel Milch und Zucker zuzubereiten.

«Wir liefern jeden Tag 75 Liter Kamelmilch an die Molkerei», erzählt Adil und schlürft vorsichtig den heissen Tee. «Früher habe ich nur Geld verdient, wenn ich Kamele verkauft habe», sagt er. «Jetzt bekomme ich regelmässig etwas.» Für jeden Liter, den er zur Molkerei bringt, erhält er knapp 50 Cent. Tagsüber streifen die einhöckrigen Kamele auf Futtersuche durch die Landschaft. Abends werden sie in so genannte Bomas getrieben, Einfriedungen aus dornigem Buschwerk.

Der 25-Jährige vom Stamm der Somali hat den Umgang mit Kamelen von seinem Vater gelernt. Die meiste Zeit ist er bei seiner Herde, die knapp 100 Tiere umfasst. Eine Kamelstute produziert etwa zwölf Liter Milch am Tag, davon sind zwei bis drei Liter für den Verkauf. Der Rest ist für das Jungtier, das in den ersten Wochen aussieht wie ein krauses Wollbüschel auf viel zu langen dünnen Beinen.

Adils Familie lebt in einem Dorf im kargen Norden Kenias, er sieht sie etwa einmal im Monat. Sein drei Jahre alter Sohn Muhammad solle später auch mal Kamelhirte werden, meint Adil. Nach kurzem Zögern fügt er hinzu: «Aber wenn ich bis dahin genug Geld habe, dann schicke ich ihn erst auf die Schule.»

Fettig, salzig, säuerlich, denken viele, wenn sie von Kamelmilch hören. «Danke, ein Schlückchen zum Probieren reicht», hört Holger Marbach häufig, wenn er seinen Gästen Tee mit Kamelmilch anbietet. Der 42-Jährige aus Sachsen hat 2005 in Nanyuki, einem Örtchen am Fuss des Mt. Kenya, eine Molkerei für Kamelmilch eröffnet. Nach 15 Jahren in der Entwicklungshilfe wollte der studierte Tropenlandwirt sein eigenes Unternehmen aufbauen. «Bei einem Glas Wein mit einem Freund kamen wir auf die Idee, Kamelmilch zu vermarkten», sagt er.

In Kenia, wo etwa eine Million Kamele leben, sind viele Gebiete von Rinder- und Ziegenherden längst überweidet. «Kamele sind viel umweltverträglicher, weil sie andere Pflanzen fressen und Trockenzeiten besser verkraften», sagt Marbach. Bis zu 200 verschiedene Pflanzen nimmt ein Kamel zu sich. Der Geschmack der Milch ändert sich je nach Weidegebiet.

Die meisten Besucher schnuppern vorsichtig, nippen ein wenig - und sind dann verblüfft, weil es ihnen kaum aufgefallen wäre, dass sie etwas anderes als Kuhmilch trinken. Marbach geniesst diesen Moment und schiebt seinen Gästen anschliessend wortlos ein Schälchen Eiscreme zu. Die Sorten klingen verlockend - Macadamia-Karamel, Dattel-Honig oder schlicht Mango. Zuerst testet nur die Zungenspitze, doch dann ist die ganze Portion schnell aufgelöffelt. «Wäre doch schade, wenn es schmelzen würde», sagt Marbach mit wissendem Grinsen.

Seine Molkerei besteht aus zwei Räumen mit blinkenden Edelstahlapparaturen, einem Kühlhaus, das etwa so gross ist wie eine Garage und einem Laster, auf dem das Logo von «Vital Camel Milk» prangt - ein braunes Kamel auf gelbem Grund. Mehrere kenianische Angestellte mit weissen Gummistiefeln, Kitteln und Hauben sind damit beschäftigt, die Anlagen blitzsauber zu halten. Es riecht intensiv nach Milch, kaum anders als in einer Kuhmolkerei im Sauerland.

«Kamelmilch hat den Ruf, seltsam zu schmecken, weil sie fast nirgendwo unter hygienischen Bedingungen verarbeitet wird», erklärt Marbach. «Wenn sie von ausgewählten Herden kommt und ordentlich pasteurisiert und gekühlt wird, schmeckt sie richtig gut.» Er träumt davon, frische Kamelmilch nach Europa zu exportieren und sie dort als Naturheilmittel zu vermarkten. Doch davon halten ihn derzeit noch die strengen EU-Vorschriften für den Agrarmarkt ab.

Somalis und andere Nomadenstämme wissen traditionell, wie gut Kamelmilch für die Gesundheit ist. Manche ernähren sich fast ausschliesslich davon. Allgemein haben Muslime eine positive Einstellung zu Kamelen, da das Tier im Koran eine wichtige Rolle spielt. Doch die wissenschaftliche Erforschung der Heilkraft von Kamelmilch hat gerade erst begonnen.

«Die Milch enthält ein Eiweiss, das dem menschlichen Insulin ähnlich ist», erklärt Marbach. «Da besteht grosse Hoffnung für Diabetiker.» Bei Versuchen in Indien hätten Zuckerkranke, die täglich einen halben Liter Kamelmilch tranken, bis zu einem Drittel weniger Insulin spritzen müssen. Einer der Patienten habe dank der Kamelmilch ganz auf zusätzliches Insulin verzichten können. Eine ähnliche Studie soll nun auch in Kenia gemacht werden.

Kamelmilch eigne sich ausserdem gut für Allergiker und Menschen, die an Bluthockdruck oder Magengeschwüren leiden, sagt Marbach. Er hofft darauf, dass die gesundheitsfördernde Wirkung bald so bekannt wird, dass Kamelmilch von dem EU-Einfuhrverbot ausgenommen wird und es zumindest in die Naturkostläden schafft. «Die Milch darf derzeit nicht exportiert werden, weil es in Kenia Maul- und Klauenseuche gibt. Dabei können Kamele das gar nicht bekommen», sagt er.

Allerdings werde Kamelmilch für viele Diabetiker im Vergleich zu Insulin ohnehin zu teuer sein. Marbach schätzt, dass der Verkaufspreis in Europa bei etwa acht Euro pro Liter liegen würde.

Da Kamelmilch ein sehr empfindliches Produkt ist, müssen die somalischen Hirten auf grösste Sauberkeit achten. Die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit unterstützt ein Trainingsprogramm für die Kamelhirten, in dem sie lernen, Milch so hygienisch wie möglich zu behandeln. John Oguk, ein Mitarbeiter von Marbach, fährt morgens oft zu den Herden hinaus und gibt Tipps zum richtigen Melken.

«Zuerst muss Wasser auf dem Feuer warm gemacht werden, damit die Melker sich die Hände gut waschen können», sagt Oguk. «Die Eimer und Kannen müssen aus Metall sein, wir akzeptieren keine Milch in alten Kanistern.» Oguk hat ein plastifiziertes Merkblatt dabei, das die nötigen Schritte in kleinen Skizzen darstellt. Schliesslich können die wenigsten Kamelhirten lesen oder schreiben. Ein Mann, der anerkennend beide Daumen hochhält, markiert die guten Methoden, einer, der angeekelt die Hände vors Gesicht schlägt, steht neben den schlechten Beispielen.

«Wichtig ist, dass Tiere mit Euterentzündung gleich aussortiert werden», sagt Oguk und macht eine Probe bei einer Kamelstute. Dazu presst er aus jeder Zitze etwas Milch in einen Behälter mit vier Vertiefungen. Dann gibt er eine Testflüssigkeit dazu und schwenkt den Behälter. «Wenn es Schlieren gibt, ist das Kamel nicht gesund», sagt er und schaut konzentriert auf die weisse Flüssigkeit. Auch Laien fällt auf, dass Kamelmilch weisser ist als Kuhmilch. Das kommt daher, dass Kuhmilch mehr Karotin enthält, das die Milch gelblich macht.

Marbachs Molkerei bekommt derzeit gerade mal 120 Liter Milch pro Tag von mehreren Herdenbesitzern geliefert. Manche von ihnen transportieren eine einzige Milchkanne auf dem Rücksitz des Fahrrads. Das Lieferantennetz soll aber bald ausgeweitet werden. «Unsere Anlage kann bis zu 6000 Liter am Tag verarbeiten», sagt Marbach.

Etwa vier Stunden dauert es, bis die Milch getestet, pasteurisiert und in die eckigen Halbliter-Fläschchen mit dem Kamel-Logo abgefüllt ist. Dann kommt sie in den Kühlraum, bis der nächste Transport nach Nairobi geht.

Das grösste Problem sei die Infrastruktur, sagt Marbach. «Wegen der häufigen Stromausfälle bräuchten wir dringend einen Generator.» Ausserdem seien die Strassen in Kenia so katastrophal, dass der Transport lange dauere und teure Kühllaster nach wenigen Monaten defekt seien.

Ausser der Milch, die bereits in mehreren Geschäften und Hotels in Nairobi zu bekommen ist, produziert die Molkerei auch Eiscreme, Buttermilch und Yoghurt. Die Herstellung von haltbarer Milch ist noch zu kompliziert und teuer. «Auch Käse ist schwierig, weil Kamelmilch schlecht gerinnt», sagt Marbach. Schweizer Forscher haben vor einigen Jahren eine Methode entwickelt, wie sie mit Hilfe eines künstlich hergestellten Enzyms dennoch Kamelkäse herstellen können.

Einer der Forscher, Zakaria Farah, stammt aus Somalia, dem Land, das ebenso viele Kamele wie Einwohner hat, nämlich je sieben Millionen. Er hat vor zwei Jahren ein Standardwerk über Kamelprodukte geschrieben, das auch einige Rezepte enthält - unter anderem für Corned Camel, Kamelcamembert und Camburger. Dabei wird die Beschaffung frischer Zutaten vermutlich die grösste Schwierigkeit sein. (dpa)

www.rundschau-online.de 07.03.2006

Kenia
Somalia

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