Als die Welt nach Bern schaute
Vor 20 Jahren öffnete das Fixerstübli. Bern stand international in den Schlagzeilen. Hans Peter Wermuth, ein ehemaliger Gassenarbeiter, erzählt, wie die Schweizer Hauptstadt die Drogenpolitik auf den Kopf stellte.
Früher hatten die Drogenabhängigen weniger Platz, um sich in einem dafür eingerichteten Raum einen Schuss zu setzen. Seit drei Jahren ist die Kontakt- und Anlaufstelle für Drogenabhängige im versprayten Gebäude an der Hodlerstrasse 22 beheimatet, am Kopf der Lorrainebrücke, vis-a-vis der Reitschule.
Im neuen Fixerstübli hats grössere Räume als am ersten Standort vor zwanzig Jahren in der Berner Altstadt. Und es hat einen eingezäunten Vorplatz. Hier stören die Junkies weniger Passanten oder Ladenbesitzer als früher, als das Fixerstübli noch an der Münstergasse 12 lag - gleich neben dem Geschäft Ryffel Running.
An normalen Tagen habe das damals kaum zu Problemen geführt, sagt der heute 56-jährige Hans Peter Wermuth. Der ehemalige Sozialarbeiter war Mitbegründer des Fixerstüblis. «Als die Süchtigen eintrafen, hatte der Laden nebenan bereits zu.» Doch während des wöchentlichen Abendverkaufs am Donnerstag hätten sich die Kunden und die Verkäufer von den Drogenabhängigen gestört gefühlt. «Ein Fixerstübli ist halt keine Sonntagsschule», sagt Wermuth.
Fixen erlaubt
Im Juni 1986 eröffnete Contact-Netz in Bern das Fixerstübli - staatlich toleriert und von der öffentlichen Hand finanziert.
Bis zu diesem Tag hatte die Betreuung von heroinabhängigen Menschen unter dem Motto gestanden: Dir wird nur geholfen, wenn du bereit bist, mit dem Fixen aufzuhören. «Mit dem abstinenzorientierten Vorgehen haben wir jedoch viele Süchtige nicht erreicht.»
Deshalb kam die Idee eines Fixerstüblis auf. Die Contact-Stiftung wollte den Junkies helfen, ohne ihnen dabei vorzuschreiben, auf die Droge zu verzichten. Die «akzeptierende Drogenarbeit» war geboren.
Durch Mundpropaganda hatten die Süchtigen vom Fixerstübli erfahren. Die ersten von ihnen standen bei der Eröffnung pünktlich um 18 Uhr vor der Tür. Die Idee der Contact-Angestellten war es, das Fixen nur auf der Toilette zu tolerieren. «Doch nach einigen Tagen stellten die Junkies einen Tisch und fünf Stühle ins Hinterzimmer und sagten: «Hier machen wirs.» Sie verlangten vom Betreuungspersonal Löffel, Tupfer und Ascorbin, um das Heroin aufzukochen.
«Was wir taten, war Pionierarbeit», sagt Wermuth. «Für einmal waren die Berner die Schnellsten auf der Welt.» Die Stadt und der Kanton Bern haben mit ihrem Vorgehen die Drogenpolitik auf den Kopf gestellt. Das Fixerstübli in der Schweizer Hauptstadt sorgte für Aufsehen auf der ganzen Welt. Der amerikanische Fernsehsender CBS zum Beispiel wollte am Welt-Aidstag eine Liveschaltung ins Fixerstübli machen. «Das haben wir nicht erlaubt. Aus der Angst heraus, die anderen internationalen Medien könnten uns danach das Lokal einrennen.»
Schrauben und Lachen
Die Süchtigen selber hatten beim Umbau dieses Lokals mitgeholfen. «Zum ersten Mal musste ein Junkie nicht clean sein, um eine entlöhnte Arbeit zu erhalten», sagt Wermuth. Einige seien zwar nur während einer knappen Stunde pro Tag dazu fähig gewesen. «Doch sie haben den Job sehr gut gemacht.» Er erinnere sich an eine Person, die beim Montieren der Gipsplatten an der Decke sogar darauf geachtet habe, dass alle Schraubenschlitze in dieselbe Richtung schauen. «Perfekter kann mans nicht machen», sagt Wermuth und lacht. An solche Dinge denkt er gerne zurück.
Oder daran, wie die Betreuer einmal eine allzu zugedröhnte Frau nicht in den Fixerraum lassen wollten, worauf diese laut schreiend Einlass verlangte. Was sie jetzt tun wolle, habe ein anderer Junkie nüchtern gefragt. «Die Polizei rufen, etwa?»
Es waren solche Sprüche, die Hans Peter Wermuth aufgeheitert haben. «Ja, wir haben zusammen mit den Süchtigen auch gelacht.» Neben dem Elend, das er während seiner Arbeit sah, sei es auch fröhlich zu- und hergegangen im Fixerstübli.
Er erhielt eine Strafanzeige
Zu den weniger schönen Erlebnissen Hans Peter Wermuths dagegen gehörte die Anzeige wegen öffentlicher Bekanntgabe von Gelegenheit zum Drogenkonsum, die er nach einem Radiointerview mit DRS 3 erhielt. «Das war ein Schuss vor den Bug», sagt er heute. «Von da an wussten wir, dass uns die Bundesanwaltschaft auf die Finger schaut.» Doch das Verfahren wurde nach der Voruntersuchung eingestellt. «Damit waren wir einen grossen Schritt weiter.»
20 Jahre später steht der ehemalige Gassenarbeiter Hans Peter Wermuth erstmals im neuen Fixerstübli an der Hodlerstrasse. Es stellt ihn auf, dass es das immer noch gibt.
www.bielertagblatt.ch Tobias Habegger 15.09.2006
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