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28.1.09

BMK

Das Berner Musikkollegium feiert sein hundertjähriges Bestehen. Eine kurzweilige Festschrift dokumentiert die Entwicklung vom kleinen Eisenbahnerorchester zum heute 70 Mitglieder zählenden Sinfonieorchester – und die Zäsuren und Umbrüche des 20. Jahrhunderts.

«Vielleicht ist das Berner Musikkollegium eine jener berühmten Ausnahmen, die die Regel bestätigen», sagt Vereinspräsident Kurt Hess über einen Kaffee gebeugt.

«Nachwuchsprobleme kennen wir jedenfalls nicht – im Gegensatz zu vielen anderen Vereinen.» Das Musikkollegium müsse sogar schauen, dass gewisse Register nicht mehr wachsen. «Wir haben eher zu viele als zu wenige Aspiranten, ausser bei den Kontrabässen.»

Kontrabässe statt Mandolinen

Der Kontrabassisten-Mangel ist so alt wie das Orchester selbst. Dies zeigt die Festschrift «100 Jahre Berner Musikkollegium – aus Freude an der Musik», die dieses Wochenende veröffentlicht wird. Schon als das damalige Eisenbahnerorchester am 18. Januar 1909 erstmals zur Probe zusammentrat, fehlte ein Kontrabass. Dafür hatten sich nicht weniger als drei Mandolinisten im Probenlokal eingefunden. Kurzerhand wurde der erste Mandolinist zum Kontrabassisten umfunktioniert. Dem Zweiten gab man eine Bratsche mit. Der Dritte wurde kurzerhand nach Hause geschickt.

Nur einen Monat später debütierten die Musiker an der Jahresfeier des Vereins Schweizerischer Eisenbahn- und Dampfschiff-Angestellter. «Der Beifall», schrieb ein Gründungsmitglied später, «galt mehr der Aufmunterung als der künstlerischen Leistung.» Die Musiker liessen sich darob nicht entmutigen und stiessen mit ihrer Salon- und Unterhaltungsmusik bald schon auf positivere Resonanz.

«Auch diese Jubiläumsschrift ist ein Orchesterwerk», sagt Eva Surbeck, «und ich war quasi die Dirigentin.» Die Journalistin und Cellistin ist dem Berner Musikkollegium vor drei Jahren beigetreten und hat die Festschrift redaktionell betreut. «Alle Arbeiten, von der Recherche bis zur Illustration, wurden durch Orchesterangehörige erledigt», erklärt Surbeck. Dabei hätten Neulinge gleichermassen zum Gelingen beigetragen wie langjährige Ehrenmitglieder.

Umbrüche im Vereinsleben

Entstanden ist eine Chronik, die nicht bloss einen Überblick über das Innenleben des Berner Eisenbahnerorchesters gibt, das 1951 in Berner Musikkollegium umbenannt wurde. Im Spiegel des Vereinslebens enthüllen die Autorinnen auch die ökonomischen und sozialen Umbrüche des 20. Jahrhunderts. So etwa bei der Geschlechterfrage: Während heute fast zwei Drittel der Orchestermitglieder weiblich sind, war das Musizieren in den 1930er-Jahren noch reine Männersache. Um die Gattinnen beschäftigt zu wissen, führten die Männer 1936 aber ein Damenprogramm ein, das zeitgleich mit den Proben stattfand. Zweck: Gemeinsames Stricken, erst für den Nachwuchs der Orchestermitglieder, ab 1939 dann für die Diensttuenden und auf Beschluss der Frauen «nur noch in Feldgrau».

«Damals war ein Verein eine soziale Institution», erzählt Eva Surbeck. «Es gab Ausflüge, Feste, viele Konzerte, ein Vereinsorgan, das vierzehn Mal im Jahr erschien.» Heute sei das anders. Zwar reisten viele Orchestermitglieder alle zwei Jahre für eine Musikwoche ins Piemont. Auch fänden vor den Konzerten Probenwochenenden statt, doch dabei stehe immer das Musizieren im Vordergrund. Wer heute einem Verein beitrete, tue das nicht, weil er ein soziales Umfeld suche. «Unsere Leute sind alle gut aufgehoben und in Beruf und Familie stark beansprucht. Sie kommen ins Orchester, weil sie etwas lernen wollen.»

Dem Probenlokal entwachsen

«Manchmal sind es nur gerade zehn von siebzig Mitgliedern, die nach der Probe noch zusammen in die Beiz gehen», sagt auch Vereinspräsident Kurt Hess. Das sei schon schade.

«Andererseits», sagt Hess dann, «wollen immer mehr Leute bei uns mitspielen.» Er habe sich sogar auf die Suche nach einem neuen Probenlokal machen müssen, weil das Musikkollegium aus dem aktuellen Raum herausgewachsen sei. «Das ist insgesamt doch sehr erfreulich», findet Hess. Und sicher eine Ausnahme, wenn man mit anderen Vereinen vergleicht.»

«Der Bund» vom Samstag, 10. Januar 2009
www.bernermusikkollegium.ch

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