Tempel und Moscheen fehlen
Nichtchristliche und freikirchliche Glaubensgemeinschaften werden durch das aktuelle Baurecht in der Schweiz indirekt benachteiligt. Mit ihrer neuen Bauordnung bietet die Stadt Bern eine Pionierlösung. Diese steht Ideen von Langenthaler Minarett-Gegnern diametral entgegen.
Das Problem taucht regelmässig beim Freitagsgebet und im Fastenmonat Ramadan auf: Die Moschee in der Tiefgarage am Lindenrain in der Stadt Bern platzt aus allen Nähten. Zuweilen stehen die Gläubigen bis auf die Strasse hinaus, was bei schlechter Witterung unangenehm ist und zu Reklamationen aus der Nachbarschaft führen kann. Die islamische Gemeinschaft sei daher schon seit längerer Zeit auf der Suche nach einer geeigneten grösseren Räumlichkeit, sagt Gerda Hauck, die Integrationsbeauftragte der Stadt. Dies sei nicht einfach. «Die aktuelle Bauordnung sieht in keiner Zone Kultusbauten vor.» Daher müssten religiöse Gemeinschaften in Wohn-, Gewerbe- oder anderen Zonen Ausnahmebewilligungen beantragen, wenn sie ein grösseres Gebäude bauen oder umnutzen wollten.
Das Problem beschränkt sich nicht auf die Stadt Bern. In der ganzen Schweiz fehlen in den Bauordnungen Zonen, in denen religiöse Bauten vorgesehen sind. Die nicht etablierten Glaubensgemeinschaften halten daher ihre Kultusstätten klein und unauffällig, so dass sie ohne Ausnahmebewilligung akzeptiert sind. Die Folge davon ist Raumnot, zudem sind die Stätten wenig würdevoll. Vom Problem betroffen sind auch die Freikirchen, sagt die Berner EVP-Stadträtin Barbara Streit. «Für viele ist es schwierig, geeignete Lokale zu finden.» Die Landeskirchen befinden sich als staatlich anerkannte öffentliche Gebäude in der Regel in Zonen für öffentliche Nutzung.
Furcht vor Lärm und Fremden
Die fehlenden Zonen für religiöse Bauten seien eine indirekte Benachteiligung neuer Glaubensgemeinschaften gegenüber den etablierten Kirchen mit ihren bestehenden Gebäuden, schreiben Regina Kiener und Mathias Kuhn von der Uni Bern in einem Gutachten zuhanden der Eidgenössischen Ausländerkommission. Sie widerspreche dem durch die Verfassung garantierten Recht auf freie Religionsausübung für alle. Neue Kultusbauten erforderten oft ein kompliziertes Bewilligungsverfahren. Die Bewilligungspraxis zeige, dass bei Gesuchen in erster Linie die Zonenkonformität umstritten sei. In Wohngebieten begegneten die Gesuchsteller Befürchtungen der Anwohner vor Lärm und Vorurteilen gegenüber dem Fremden.
Mit verschiedenen Ellen messen
Ein Anschauungsbeispiel für die Problematik bietet die aktuelle Auseinandersetzung um den Ausbau des Gebetsraumes der islamischen Gemeinschaft in Langenthal und die Errichtung eines Minarettturms. Baurechtlich machen die Gegner in 77 Einsprachen mangelnde Zonenkonformität und Furcht vor mehr Verkehr und Lärm geltend. In einer Petition und Leserbriefen äussern sie Ängste vor dem Islam. Die islamische Gemeinschaft weist darauf hin, dass der vor 15 Jahren zonenkonform errichtete Gebetsraum nie zu Reklamationen geführt habe. Der Protest breche erst jetzt los, da er durch ein Minarett von aussen sichtbar werden soll. Auch weist die Gemeinschaft darauf hin, dass die Öffentlichkeit mit unterschiedlichen Ellen messe. Bei der Errichtung eines auffälligen Sikh-Tempels habe es praktisch keine Opposition gegeben («Bund», 9. 8.).
Die Stadt Bern hat in der neuen Bauordnung, die im September vors Volk kommt, Konsequenzen gezogen. Wie Bauinspektor Charles Roggo sagt, seien künftig Versammlungslokale – und damit auch religiöse Versammlungslokale – in der Dienstleistungszone zonenkonform. Sie könnten im Rahmen der da geltenden Regeln mit einer normalen Baubewilligung gebaut werden. Für Kirchtürme und Minarette müssten allerdings wegen der Höhe wohl auch in dieser Zone in der Regel Ausnahmebewilligungen beantragt werden. Wie Gutachter Mathias Kuhn sagt, spielt die Stadt Bern mit dieser Regelung eine Pionierrolle. Städte wie Basel oder Zürich hätten zwar eine liberale Praxis, das Baurecht sehe jedoch keine Zonen für Kultusbauten vor. Schweizweit steige das Problembewusstsein.
Volksentscheid nicht realistisch
Die Lösung der Stadt Bern widerspricht der Politik der Minarett-Gegner in Langenthal. Die grösstenteils freikirchlichen Petitionäre äusserten die Idee, Baugesuche für Kultusstätten einem Volksentscheid zu unterstellen. «Das wäre kaum durchsetzbar», sagt Gutachter Kuhn. Eine solche Regelung sei nicht Verfassungskonform, ähnlich wie Volksentscheide über Einbürgerungen. Auch die Berner EVP-Stadträtin Steit warnt vor solchen Regelungen. «Das könnte ein Eigentor geben.» Was das Baurecht angehe, sässen die Freikirchen ja mit den Einwanderern im selben Boot.
Muezzinruf möglich
Muezzinrufe auf Minaretten sind hierzulande möglich. Entsprechende Anlagen würden nach gängigem Recht geprüft, sagen die kantonale Baudirektion und der Grundrechtler Mathias Kuhn. Massgebend seien die Vorschriften im Umweltschutzgesetz, so Kuhn. Glockenspiele und Lautsprecher würden als lärmverursachende Anlagen grundsätzlich gleich beurteilt. Allenfalls spiele unterschiedliche Schallqualität eine Rolle, nicht aber das Argument der Tradition. Bestehende Kirchen dürften lauter läuten als neue, da das Umweltschutzgesetz für neue Anlagen strengere Grenzwerte vorsehe.
Beschallte Minarette seien eine Frage der Gleichberechtigung, sagt die Berner Integrationsbeauftragte Gerda Hauck. Dennoch würde sie den Muslimen zu Geduld raten. «Viele Leute reagieren allergisch auf dieses Thema.» Zurzeit will niemand im Kanton ein Minarett mit Muezzinruf bauen. Minarett-Gegner in Langenthal möchten für diesen Punkt von der islamischen Gemeinschaft eine Garantie.
www.ebund.ch Andreas Lüthi 15.08.06
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