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26.8.06

Paternostererbse (Abrus precatorius) - Zeitbombe am Handgelenk

Schmuck aus der Paternostererbse erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Aus den Samen gefertigte Halsketten und Armbänder werden auch auf dem Berner Märit angeboten. Aber der Schmuck ist tödlich.

Die blutroten Samen mit dem schwarzen Fleck hängen aufgereiht zu Halsketten und Armbändern auf dem Berner Wochenmarkt. «Dieser Schmuck ist aus der Huyruru-Pflanze gemacht», sagt ein Marktfahrer. In Südamerika würden Kleinkinder solche Armbänder als Glücksbringer tragen. Das Wort «Huyruru» komme aus der Inka-Sprache und bedeute so viel wie «Leben». Was der Mann nicht weiss: Der deutsche Name der Pflanze ist Paternostererbse (Abrus precatorius). Es ist so ziemlich die giftigste Pflanze, die es überhaupt gibt.

Gehört in keinen Haushalt

Dass dieser Modeschmuck gefährlich ist, glaubt der Verkäufer auf dem Märit nicht. «Nein, nein», sagt der Südamerikaner in gebrochenem Deutsch, «das können Sie sogar essen.» Davon rät Christine Rauber, Oberärztin am Toxikologischen Zentrum in Zürich, allerdings dringend ab: «Eine bis zwei zerkaute Samen reichen aus, um einen Menschen zu töten.» Die Paternostererbse sei hochgiftig, noch giftiger als die Tollkirsche, sagt Rauber. «Auf Grund der starken Giftigkeit raten wir davon ab, Schmuck aus dieser Pflanze zu erwerben. Dieses Gift gehört in keinen Haushalt.»

Eine Marktfahrerin warnt

Der Schmuck verkaufe sich nicht schlecht, meint eine Marktfahrerin, welche ebenfalls Paternostererbsen anbietet. Sie ist eine der wenigen auf dem Waisenhausplatz, die über die Hals- und Armbänder Bescheid weiss: «Ich sage den Leuten, dass sie giftig sind und dass sie sorgfältig damit umgehen müssen.» Die Ware würde sie direkt von Bekannten aus Südamerika beziehen. Die Paternostererbse stammt ursprünglich aus Indien, heute ist sie in den Tropen der ganzen Welt verbreitet. Und dort sind es vor allem die sozial Benachteiligten, welche die Samen durchbohren, auf Fäden aufziehen und sie so zu Halsketten und Armbändern verarbeiten. Der Modeschmuck ist in den letzten Jahren vermehrt in Europa aufgetaucht. Experten, wie etwa der Heidelberger Pharmazie-Professor Michael Wink, stufen bereits die Verarbeitung als gefährlich ein.

«Es gibt kein Gegengift»

Dem Glück ist es zuzuschreiben, dass es in der Schweiz noch keine Todesfälle gab. Das tödliche Gift mit dem Namen Abrin ist relativ sicher unter der Samenschale verpackt. «Solange man den Schmuck auf der Haut trägt, sollte nicht viel passieren», sagt Toxikologin Christine Rauber. «Aber wie schnell kann eine solche Erbse von einem Kind in den Mund genommen und zerkaut werden», ergänzt sie. In einem Fall sei eine verschluckte Erbse zum Glück unverdaut auf natürlichem Weg wieder ausgeschieden worden. Wäre die Beere zerkaut worden, hätte es kaum Rettung gegeben. «Es gibt kein Gegengift», sagt der Experte Andreas Stürer vom Tox-Zentrum.

Nicht nur auf dem Berner Märit geht man unbesonnen mit dem Gift um. Auf dem Internetportal Ebay wird «der wunderschöne Kletterstrauch als ideale Wintergartenpflanze» angepriesen: «Sie erhalten 5 frische Samen, die für jeden Anfänger geeignet sind»,steht dort geschrieben. Der Berner Biologe Adrian Möhl kann nur den Kopf schütteln. Er überlegt: «Paternostererbsen sollten wir im Botanischen Garten ansetzen, um den Leuten diese Giftpflanze vor Augen führen zu können.»

Das hochgiftige Abrin kann beim Menschen bereits in einer Dosis von 0,1 millionstel Gramm pro Körpergewicht tödlich wirken. Das heisst, dass man mit einem einzigen Gramm Hunderttausende von Menschen vergiften könnte. Die Samen enthalten etwa 0,08 Prozent Abrin. Die Symptome einer Vergiftung sind: blutiger Brechdurchfall und ein Versagen von Leber, Niere und Zentralnervensystem. Es führt zur Erblindung und zum Tod.

www.bielertagblatt.ch Urs Wüthrich 26.08.2006

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