Schwul ist nicht mehr cool
Lesbische Schauspielerinnen, schwule Politiker: Was früher provozierte, ist heute akzeptiert. Die homosexuelle Subkultur gehört zum Hetero-Alltag und ist reif fürs Museum geworden.
Die Schwester putzt sich fürs nächste Abenteuer heraus. Selbst wenn es nur das kleine Vergnügen ist, einen Balisto-Riegel zu knabbern – mit viel getreidehaltigem Ballaststoff für den Stoffwechsel. Konventionelle Werbung pur.
«Gay Chic – von der Subkultur zum Mainstream» heisst eine Ausstellung im Zürcher Museum für Gestaltung. Der schwule Auftritt ist Alltag und hat den Reiz des Exotischen längst verloren. Was einst als Avantgarde galt, ist heute museumsreif. «Früher hätten sich höchstens Schwule in einem Beau mit Schminke erkannt», sagt Cynthia Gavranic, Kuratorin der Ausstellung. «Heute ist das die Mehrheit der Männer.» Homosexualität als innovativer Trend ist passé.
Werbung, Mode, Design - Gay ist allerorts. Modeberater Clifford Lilley etwa freut sich über den Wandel von der Diskriminierung zur breiten Akzeptanz. «Noch vor ein paar Jahren hätte ich das nicht zu denken gewagt.» Schwulsein ist solchermassen mehrheitsfähig geworden, dass es eine Laufbahn fördert oder zumindest nicht behindert. Von Nationalratspräsident Claude Janiak über den frisch gewählten Berner Regierungsrat Bernhard Pulver bis zum Arboner Gemeindeammann Martin Klöti machen schwule Politiker Karriere. Sie sind nicht Trendsetter, weder in der Politik noch im Auftreten. Sie sind Normalos der Biederkeit wie die meisten ihrer Kaste.
Und damit alles andere als provozierend – zum Entsetzen der Hardcore- Schwulen. «Der assimilierte schwule Mittelstand träumt von einer allgemeinen Akzeptanz seiner Lebensweise», konstatiert der Regisseur Bruce La Bruce, der den Anspruch erhebt, in seinen Filmen Kunst und Pornografie zu vereinen.
Die Ausstellung in Museum für Gestaltung dokumentiert, wie die Subkultur der Schwulen und Lesben zum Hetero-Alltag gehört. «Heute herrscht die Freiheit, die eigene Identität zu wählen, man kann jede Rolle spielen», sagt Kuratorin Cynthia Gavranic. In einem Einführungstext wird «Gay Chic als Trend der heterosexuellen Kultur» gepriesen. Diese Stilwelt wird mit der «postmodernen Lust am Spiel mit Rollenbildern erklärt».
Uniformierte Schwule
Eine These, die zwar nahe liegt, aber deshalb nicht wahr sein muss. Der Fernsehtalker Kurt Aeschbacher hält die Schwulen nicht für die Treiber innovativer Trends, «sondern im besten Fall für die schnellsten, eklektischen Imitierer». Da kaum eine «andere Gruppe unserer Gesellschaft sich so sehr uniformiert, breiten sich diese Trends unter Schwulen als Imitat am schnellsten aus». Dadurch entstehe die irrige Meinung, «schwule Gruppen hätten den so genannten Schick erschaffen».
Selbstbewusste Schwule langweilt das omnipräsente Gay Label im besten Fall, oder sie lehnen es ab. Sie wenden sich gegen die zur Schau getragene Homosexualität der einstigen Kämpfer für die schwule Akzeptanz. «Die neue Generation polemisiert gegen die Integration in die Mainstream- Kultur, in die etablierte Politik und den Konsum», schreibt die amerikanische «Gay & Lesbian Review».
Noch hat sich dieses neue Selbstbewusstsein nicht überall durchgesetzt, wie Lifestyle-Berater Clifford Lilley bemerkt. «Ein eigenständiger Code der Schwulen ist kaum erkennbar.» Heute riskiere einer ein blaues Auge, wenn er einen Mann anmache, den er für schwul hält, «weil der bestimmt ein Hetero ist». Und einem Stil nachhängt, der seine sexuelle Präferenz verwischt. Die Angleichung zwischen schwul und hetero nimmt im Einzelfall groteske Formen an, beobachtet Lilley. Heteros wie Schwule fühlten sich gezwungen, möglichst weiblich zu erscheinen. «Die entwickeln sogar Essstörungen.»
Im Gegensatz zu den Schwulen setzte die Lesbenbewegung weniger auf den Mainstream. Aber auch sie hat das Flair des Exotischen verloren. «Vor Jahren musste ich mich mit einem Kurzhaarschnitt und der Hosenmode vom traditionellen Frauenbild abheben», erinnert sich Brigitte Röösli von der Lesben-Organisation Schweiz. Heute sei die Angleichung perfekt. «Aber wahrscheinlich kommt die Zeit, wo wir uns wieder distanzieren müssen », sagt Röösli. Und auf die eigene Identität setzen, wie «The Gay & Lesbian Review » postuliert: «Gay ist längst nicht mehr eine Identität, in der wir uns wohl fühlen. Die lesbische und schwule Identität hat sich im Konsum aufgelöst.»
Was früher provozierte, ist heute akzeptiert, selbst gegen den Willen der Kreativen. Das Londoner Künstlpaar Gilbert & George arbeitet seit Jahrzehnten an ihrer schwulen Gegenwelt; zuletzt mit der Parodie sakraler Bilder an der Biennale Venedig. Gilbert & George verstehen ihre Kunst noch immer als politische Opposition zu den Machtstrukturen, besonders den religiösen.So postulieren sie eine «lesbische, schwar-ze Päpstin». Eine Forderung, die höchstens noch traditionelle Katholiken irritiert.
Nicht weniger als 24 begleitende Veranstaltungen und Führungen sind an der Zürcher Ausstellung geplant. Deren Titel sind zum Teil verräterisch: So wird in einem Workshop die Behauptung diskutiert «Schwul macht cool». Diese Aussage wäre vor vierzig Jahren eine Kontroverse wert gewesen. Im 21. Jahrhundert erscheint sie harmlos. Es sei denn, selbstbewusste Schwule nützen die Gelegenheit, um das Gegenteil zu behaupten.
«Gay Chic – von der Subkultur zum Mainstream»,
Museum für Gestaltung,
Zürich, 26. April bis 16. Juli.
www.facts.ch Rolf Hürzeler 20.04.2006
www.museum-gestaltung.ch
GayCH
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